Prozessbeherrschung als zukünftige Schlüsselkompetenz für Gießereien

Schneider, W. – BorgWarner Turbo Systems GmbH

BorgWarner ist ein führender Automobilzulieferer mit weltweit 27.000 Mitarbeitern mit 62 Standorten in 17 Ländern. Wir sind ein globaler Produktführer bei sauberen, energieeffizienten Antriebssystemlösungen für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, Hybrid- und Elektrofahrzeugen. Wir liefern saubere, schnell einführbare Technologielösungen, die die Effizienz und Leistung moderner Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor steigern. Für die Hybridtechnik (Mild, Voll oder Plug-in) bieten wir Fahrzeugherstellern auf der ganzen Welt ein umfangreiches Produktportfolio für fortschrittliche Lösungen für alle Hybrid-Architekturen. Unser wachsendes Produktportfolio enthält praktisch alle Bereiche des Elektroantriebs wie Elektromotoren, Kraftübertragung, Leistungselektronik und Temperaturmanagement.

Unser heutiges Thema ist: „Prozessbeherrschung als zukünftige Schlüsseltechnologie für Gießereien“

Warum beschäftigt sich jetzt ein „Nichtgießer“ mit einem solchen Thema?

Nun als Turbolader-Hersteller sind wir Anwender von Gießereikomponenten. Der Turbolader besteht zu 75 % aus Guss mit den unterschiedlichsten Verfahren hergestellt. Wenn man sich jetzt den Materialwert ansieht, reden wir sogar von über 85 % der Kosten. Dabei ist die heiße Seite (bei Dieselmotoren, bis ca. 920° und bei Ottomotoren bis 1050°) bedingt durch den hohen Ni Gehalt der eingesetzten Werkstoffe besonders kostenintensiv. Auf diese heiße Seite des Turbos möchte ich mich heute konzentrieren und über Turbinengehäuse aus Stahlguss reden. Wenn wir den Markt betrachten, sehen wir in den nächsten Jahren ein deutliches Wachstum von Ottomotoren bedingt durch die Verschiebung von Diesel zu Otto- und Hybrid-Anwendungen. Hybride werden mit einem Elektro- und Ottomotor ausgestattet sein. Die hohen Kosten der heute eingesetzten Werkstoffe stellen eine besondere Herausforderung für uns als Turbolader Hersteller dar und treiben damit die Entwicklung kostengünstiger hochtemperaturbeständiger Stahlgusswerkstoffe voran.

Diese Entwicklung darf dabei nicht isoliert als Materialentwicklung vorgenommen werden, sondern muss als Bestandteil einer ganzheitlichen Material- und Prozessentwicklung betrachtet werden. So müssen aufgrund metallurgischer Erfordernisse der neuen Werkstoffe angepasste Schmelz- und Gießtechnologien angewandt werden. Durch die qualitative und quantitative Zusammensetzung der Legierungselemente wird auch die mechanische Bearbeitbarkeit beeinflusst. Die Entwicklung eines, auf die Legierungszusammensetzung angepassten, Bearbeitungskonzeptes (Werkzeug-Vorrichtung-Maschine) beeinflusst die Wirtschaftlichkeit des Gesamtsystems gleichermaßen. Erste Ergebnisse bei der Entwicklung derartig entwickelter Bearbeitungskonzepte unter Zugrundlegung der genauen Legierungszusammensetzung bestätigen die Richtigkeit des Konzeptes.

Wer die Automobilindustrie kennt, der weiß, wenn wir mit Gussprodukten aus Europa heraus wettbewerbsfähig sein wollen, können wir uns Verluste in unseren Prozessen in Zukunft nicht mehr leisten. Die gesamte Prozesskette Gießen, Bearbeiten, Montage von Regelkomponenten und Dichtheitsprüfung der Komponenten ist eine Wertschöpfungskette.

Darüber hinaus ist der Lieferant komplett ins Projekt eingebunden. Von den Prototypen über die Serie bis zum Aftermarkt liefert der Lieferant alle Teile. Nur wer zukünftig alle diese Prozesse als Einheit beherrscht, wird in der Champions League mitspielen.

Ich wage hier jetzt eine These: Wenn wir in der Gießerei Geld verlieren, verlieren wir es nicht beim Gießen!

Ein ganzheitlich betrachteter Prozess geht bei dem Layout der Gießerei los.  Die Logistik aller wichtiger Prozessschritte spielt eine wesentliche Rolle.

Werkzeugauslegung und –Herstellung, Kernschiessen, Kernmontage, Schmelzen, Gießen, Auspacken und Abtrennen, Sandaufbereitung, Bearbeiten sowie Endmontage gehören zum ganzheitlichen Prozess. Der Takt bestimmt die Prozessauslegung.

KPI’s wie Ausbringung, Zykluszeit, Ausschussquote, Energiekosten, Durchlaufzeiten, Bestände etc. müssen gemanagt und optimiert werden. Das kann nur effektiv funktionieren, wenn der Informationsregelkreis kurz und geschlossen ist.

Viele von Ihnen werden jetzt sagen: Das machen wir doch heute schon. Sicher gibt es heute schon gute Teillösungen, aber aus meiner Erfahrung gibt es nur wenige Gießereien die diesen ganzheitlichen Ansatz gewählt und umgesetzt haben.

Wir sehen für die Zukunft erhebliche Einsparpotentiale, wenn es uns gelingt, alle wertschöpfenden Prozessschritte aufeinander abzustimmen und alle nicht wertschöpfenden Tätigkeiten zu vermeiden.

Ein Beispiel ist der Transport eines Gussteils über hunderte oder gar tausende von Kilometern zur Bearbeitung. Wir nehmen die Teile mehrfach in die Hand, wir brauchen viel mehr Transportbehältnisse, erkennen die potentiellen Probleme über Bearbeitungsausschuss zu spät, verschrotten dann Bauteile die wir für viel Geld vorher transportiert haben, haben hohe Bestände und suspekte Komponenten in der Logistikkette, den organisatorischen Aufwand den wir brauchen um die Kundenbelieferungen sicherzustellen noch gar nicht gerechnet.

Um eine „Best Practice“ Lösung in dem Segment Material / Prozessentwicklung zu entwickeln die wir dann mit unseren Lieferanten diskutieren können arbeitet Borg Warner Turbo Systems sehr intensiv mit dem Gießerei-Institut der TU Freiberg zusammen. Erste Ergebnisse zeigen, wir sind auf dem richtigen Weg.

Bild_Wolfgang Schneider