Interview 3D-Druck als potenzielles Upcycling von Reststoffen

07.11.2022 I Das Gespräch führte Jule Hoher

Technische Universität Bergakademie Freiberg

In einem Reallabor für nachhaltige Additive Fertigung in Sachsen werden Produkte aus recycelten Roh- und Reststoffen per 3D-Druck hergestellt. Doch wie genau funktioniert die Weiterverarbeitung und warum bietet sich der 3D-Druck so gut an?

Forschende an den Technischen Universitäten Freiberg, Chemnitz und Dresden wollen zusammen in einem neu gestarteten Projekt lokale Reststoffe additiv zu Werk- und Wertstücken weiterverarbeiten. In unserem Interview geben Prof. Henning Zeidler, Inhaber der Professur für Additive Fertigung an der TU Bergakademie Freiberg, und Leif Micke, ebenfalls Mitglied des Projektteams, gemeinsam Auskunft über die Hintergründe der Prozedur sowie den genauen Ablauf im Labor.

Wie kam es zum Projekt und wie sahen die ersten Testverläufe aus?

An der TU Bergakademie Freiberg beschäftigen wir uns schon seit mehreren Jahren mit der Additiven Fertigung auf Basis biobasierter Materialien und insbesondere Reststoffen. Neben der Grundlagenforschung sind auch in der Praxis nutzbare, industrielle Anwendungen wichtig. Die Ausschreibung des sächsischen Staatsministeriums für Regionalentwicklung für ein Reallabor für innovationsgestützte regionale Wertschöpfung hat uns die Chance gegeben, unsere Forschung für eine Vielzahl an kleinen oder mittleren Unternehmen nutzbar zu machen. In diesem Zuge ist es auch möglich, die 3D-Drucker in ihrer Größe hoch zu skalieren, um große Bauteile zu fertigen, was die Anwendungsmöglichkeiten nochmals stark erweitert.

Für dieses Vorhaben sind starke Partner erforderlich – wir haben mit dem Institut für Naturstofftechnik der TU Dresden die Expertise auf der Materialseite mit ins Boot geholt. Zusätzlich arbeiten wir für die umfangreiche Digitalisierungskomponente mit der Professur Arbeitswissenschaft und Innovationsmanagement der TU Chemnitz zusammen. Gemeinsam wollen wir eine digitalisierte Kreislaufwirtschaftsgemeinschaft in Sachsen etablieren und haben bereits mit einigen Unternehmen und weiteren Akteuren Vorversuche gestartet. Unter anderem wurden Komponenten für Bühnenbilder aus Miscanthus im Binder Jetting gefertigt. Gerade auf Parameter- und Maschinenseite haben wir dort viel tun müssen, um die großen Teile prozessstabil bauen zu können.

Welche Voraussetzungen oder Eigenschaften müssen die Roh- und Reststoffe erfüllen, um als Material dienen zu können?

Geeignete Reststoffe fallen zum Beispiel in der industriellen oder handwerklichen Fertigung, der Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und so weiter an. Aktuell werden diese nicht oder nur minderwertig genutzt, also beispielsweise lediglich zur Energienutzung verbrannt. Hier wollen wir die stoffliche Nutzung erreichen. Da wir uns bei der Technologie auf das Binder Jetting und damit auf ein Pulverbettverfahren fokussieren, ist eine möglichst geringe Partikelgröße des Reststoffs von Vorteil. Dadurch bleibt die zusätzliche Energie, die zur Pulveraufbereitung wie etwa für Mahlen und Sieben benötigt wird, gering. Das reduziert Kosten und Umweltauswirkungen. Wir arbeiten momentan im Bereich von 200 Mikrometern und darunter, auch um eine akzeptable Fließfähigkeit für den Schichtauftrag einstellen zu können. Da wir die Partikel mit Bindern verkleben, sind sehr viele Materialien nutzbar – je nach Anwendungsbereich des Produkts. Wir haben unseren Schwerpunkt momentan bei den nachwachsenden Rohstoffen, da diese meist auch eine gute Bioabbaubarkeit ermöglichen. Es sind aber auch andere Reststoffe denkbar, die in Pulverform gebracht werden können.

Aktuell ist es noch so, dass Unternehmen nachwachsende Roh- oder Reststoffe aus der Produktion an das Labor liefern und anschließend ein daraus gefertigtes Produkt erhalten. Soll das Verfahren so bleiben, oder ist angedacht, dass die Unternehmen mit Ihrer Technologie irgendwann an den eigenen Standorten drucken können?

Das Reallabor soll es den Unternehmen ermöglichen, die Technologien der Additiven Fertigung für ihre Geschäftsfelder auszuprobieren, ohne zuvor in teure Anlagen investieren zu müssen. Dabei gehen wir davon aus, dass einige der Firmen nach erfolgreichen Versuchen selbst in Anlagen investieren, um am eigenen Standort eine Fertigung für die evaluierten Produkte aufzubauen.

Auf welche Art und Weise werden die Rohstoffe verarbeitet?

Das Eingangsmaterial wird bei uns zunächst hinsichtlich seiner Verteilung der Partikelgröße sowie dem Feuchtigkeitsgehalt untersucht. Anschließend erfolgt gegebenenfalls eine Trocknung, sowie je nach Partikelgrößenverteilung ein zusätzliches Mahlen oder ein Sieben beziehungsweise Sichten zur Separierung der nutzbaren Fraktionen. Die aufbereiteten Pulver können anschließend mit einem abgestimmten Bindersystem im Binder Jetting Verfahren verarbeitet werden. Eine Nachbearbeitung kann je nach erforderlichen Endeigenschaften durch Beschichten oder Infiltrieren erfolgen.

Warum bietet sich dafür gerade der 3D-Druck so gut an?

Die Additive Fertigung, insbesondere das Binder Jetting Verfahren, ist sehr gut für den Einsatz von Reststoffen geeignet, da diese oft in kleinen Partikelgrößen, wie als Späne oder Stäube anfallen und das Verfahren ein pulverförmiges Ausgangsmaterial nutzt. Dadurch können verschiedenste Materialien verarbeitet werden, solange ein ausreichend fließfähiges Pulver vorliegt. Des Weiteren bietet der 3D-Druck durch die Freiheit in der Bauteilgestaltung große Potentiale für ein Upcycling der Reststoffe. Individualisierte Produkte sowie komplexe Geometrien mit zum Beispiel akustischer Funktion können mit vergleichbar geringem Aufwand gefertigt werden.

Zum Einsatz kommen könnten beispielsweise Holzspäne und -staub aus Sägewerken oder Spreu Stroh aus Erntemaschinen. Gibt es noch anderes geeignetes Material?

Entsprechend der genannten Voraussetzungen gibt es viele weitere geeignete Materialien – wir selbst haben bereits erfolgreich Nussschalen, Obstkerne, Papierfasern, Muschelkalk und vieles weitere verarbeitet. Im Rahmen des Projekts wollen wir Unternehmen auf diese versteckten Potentiale aufmerksam machen und gemeinsam neue Materialien im 3D-Druck erproben. Wir sind dabei sehr gespannt, herauszufinden, welche Reststoffe bei den sächsischen Unternehmen anfallen.

Sie haben auch schon mit Aprikosenkernmehl gearbeitet. Wie genau funktioniert hier der Prozess?

Die Aprikosenkerne erhalten wir als Bruchstücke – der weiche innere Teil wurde industriell genutzt und die harte Schale bleibt übrig. Wir sieben und mahlen gegebenenfalls auf die benötigte Partikelgröße und verarbeiten das Pulver dann im Binder Jetting mit einem biobasierten und bioabbaubaren Binder. Abhängig vom Anwendungsfall – Stichwort Wasserfestigkeit oder mechanische Festigkeit – kann das Bauteil dann noch beschichtet oder infiltriert werden. Wir haben das Bauteil, um zum Beispiel wasserabweisende Eigenschaften zu erreichen, nach dem Drucken mit Bienenwachs behandelt. Dadurch ist es weiterhin bioabbaubar, beziehungsweise kompostierbar.

Vielen Dank für das interessante Gespräch an Sie beide.

 

Foto: ©Crispin Mokry