2012 Europa Ukraine Geophysik

Ukraine 2012 
 So viel mehr als die Fußball-Europameisterschaft! – Mein sechswöchiger Einblick im Rahmen eines IAESTE-Praktikums am Ukrainischen Forschungsinstitut fĂŒr Gebirgswaldbau.

Recht kurzfristig hatte es mich zwischen dem 07. Mai und dem 15. Juni 2012 fĂŒr ein Praktikum bei der regionalen Forstverwaltung in die westukrainische Stadt Ivano-Frankivsk verschlagen.

Anreise

Die Anreise zu diesem, fĂŒr mich bis dahin noch ungesehenen Flecken Erde bestritt ich im Wesentlichen via Reisebus eines ukrainischen Anbieters, der regelmĂ€ĂŸig Touren zwischen Deutschland und diversen Regionen der Ukraine anbietet. Dank der Möglichkeit einer Online-Reservierung des Sitzplatzes mit anschließender Barzahlung im Bus lĂ€sst sich die Fahrt bei diesem auch ohne tiefgreifende Kenntnisse der Landessprache unkompliziert planen und war fĂŒr mich verglichen mit dem Zug oder Flugzeug preislich unschlagbar. Nach 17-stĂŒndiger Fahrt erreichte ich auf diese Weise zunĂ€chst den Busbahnhof Strijskiy der, mit einem UNESCO-Welterbetitel gekrönten, Stadt Lviv.

Die letzten etwa 130 km von dort zu meinem Arbeitsplatz legte ich mit dem Zug zurĂŒck – Fahrtzeit knapp 4 h. Ein Kauf des Tickets vorab von Deutschland aus ist dabei nicht anzuraten. Ich wollte sicher gehen und hatte eines bei der DB erworben, fĂŒr rund das Zehnfache des Inlandspreises. Aufgrund ausschließlich deutscher Beschriftung erkannte es das Zugpersonal vor Ort nicht an, sodass ich im Bahnhof Lviv noch ein weiteres kaufen musste. Summa summarum ein Verlust von 13 € – nicht tragisch, aber unnötig. Wie ich spĂ€ter erfuhr, verkehren außerdem mehrmals tĂ€glich Busse direkt zwischen dem etwas abseits gelegenen Busbahnhof Strijskiy in Lviv und Ivano-Frankivsk. Mit einem Preis von um die 5 € pro Fahrt und einer um ca. Âœ Stunde verkĂŒrzten Fahrtzeit eine ĂŒberlegenswerte Alternative zum Zug.

Unterkunft

In Ivano-Frankivsk holte mich eine Mitarbeiterin des hiesigen IAESTE-Komitees mitsamt dem Auto eines Freundes direkt vom Bahnhof ab, sodass mein GepĂ€ck und ich Ă€ußerst komfortabel in unser Zuhause fĂŒr die kommenden sechs Wochen gelangten. Dabei handelte es sich um ein Hostel der in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Nationalen Technischen UniversitĂ€t fĂŒr Öl und Gas, ca. 20 Minuten Fußweg vom Stadtzentrum entfernt. Das Dreibettzimmer, in welchem ich mal mit einer, mal mit zwei weiteren IAESTE-Praktikantinnen lebte, war nicht sonderlich groß und einfach ausgestattet, verfĂŒgte mit einem großen Kleiderschrank, diversen NachtschrĂ€nkchen, einem Tisch mit vier StĂŒhlen, einem Spiegel und einem Wasserkocher jedoch ĂŒber alles, was man so braucht. Über den fehlenden Internetzugang halfen die diversen CafĂ©s und Restaurants der Stadt mit frei zugĂ€nglichem Wi-Fi-Spot hinweg. Alternativ wĂ€re der Zugang auch ĂŒber einen Surfstick eines örtlichen Telefonanbieters möglich (Kosten inklusive Stick ca. 400 UAH/30 Tage).

Die SanitĂ€rrĂ€ume befanden sich auf dem Gang und fĂŒr ukrainische VerhĂ€ltnisse in gutem Zustand. Wir teilten sie mit den Patienten der ebenfalls dort befindlichen Krankenstation. Offiziell bestand jeden Mittwoch die Möglichkeit direkt im Hostel WĂ€sche zu waschen. Allerdings war darauf nicht immer Verlass und die Absprache alternativer Termine von Hostelseite aus nicht gewollt, sodass ich meist doch auf die simple WĂ€sche per Hand zurĂŒckgriff. Zum Trocknen spannte ich eine Leine quer durchs Zimmer, da uns auch auf Nachfrage im gesamten Hostel keinerlei andere Trockenmöglichkeit zur VerfĂŒgung stand. Auch eine GemeinschaftskĂŒche suchten wir vergeblich. DafĂŒr bietet das Hostel in der Woche jedoch dreimal tĂ€glich warme, nach wenigen Tagen der Eingewöhnung durchaus schmackhafte Mahlzeiten an. Sowohl diese als auch die Unterbringung im Hostel waren kostenlos, das heißt wurden nicht vom Monatslohn abgezogen. Ein Supermarkt und zahlreiche kleine LĂ€den und MĂ€rkte mit Lebensmitteln, Drogerieartikeln und sonstigen Waren des tĂ€glichen Bedarfs ließen sich in nur 5 bis 15 Minuten Fußweg problemlos erreichen.

Das Praktikum

Das Praktikum selbst blieb leider etwas hinter meinen Erwartungen zurĂŒck. Mein Versuch sich bereits vorab von Deutschland aus ĂŒber ein paar konkrete Inhalte zu verstĂ€ndigen, schlug fehl. Auch nach Nachfrage beim IAESTE-Komitee Ivano-Frankivsk war es nicht möglich (oder gewollt?) gewesen E-Mail-Kontakt mit meinem Arbeitgeber herzustellen. Von meiner Ankunft wusste man vor Ort immerhin, detailliertere Gedanken ĂŒber meine TĂ€tigkeit schien sich jedoch niemand gemacht zu haben. So gab es fĂŒr mich in den ersten Tagen bis auf die ĂŒblichen KennenlerngesprĂ€che mit den sehr netten Kollegen nicht wirklich viel zu tun.

Ab der zweiten Woche besserte sich die Lage ein wenig, da ich von nun an dem Ukrainischen Forschungsinstitut fĂŒr Gebirgswaldbau zugeteilt war. Hier traf ich mit dem stellvertretenden Institutsdirektor auf einen warmherzigen und stets um fachliche ErlĂ€uterungen bemĂŒhten Vorgesetzten. Im Wesentlichen begleitete ich ihn wĂ€hrend der nachfolgenden Wochen bei seiner Arbeit. Dabei erwiesen sich fĂŒr mich vor allem die Außentermine bei Forstinstitutionen anderer StĂ€dte des Verwaltungsbezirkes, direkt im GelĂ€nde oder bei der ForstuniversitĂ€t Lviv als besonders interessant und lehrreich. Im BĂŒro blieb die Sprache eine hinderliche Barriere. Kaum einer der Kollegen sprach Englisch, sodass ich hier fĂŒr meinen Geschmack zu oft mit simplen Zuarbeiten Vorlieb nehmen musste. Auch die erhoffte Mitarbeit in einem der Labore ließ sich nicht realisieren, da jene schon seit Jahren brachliegen. Im Sinne einer spezifischeren Teilhabe am Arbeitsgeschehen empfehle ich dieses Praktikum letztlich nur Bewerbern mit gefestigten Kenntnissen der Landes- oder zumindest russischen Sprache.

 Land und Leute

In die Ukraine reisen, wĂŒrde ich jederzeit wieder. – Schon allein, um all die Menschen, welche ich wĂ€hrend der sechs Wochen und meiner kleinen Rundreise im Anschluss so lieb gewonnen habe, einmal wiederzusehen! Die Hilfsbereitschaft, Gastfreundschaft und der Frohsinn vieler Menschen bei verglichen mit Deutschland spĂŒrbar erschwerten Lebensbedingungen beeindruckten mich regel-mĂ€ĂŸig. Mit Englisch kommt man allerdings auch im Jahr 2012 nicht sonderlich weit. Es lohnt daher ein paar Brocken Ukrainisch, im Osten und SĂŒden des Landes besser Russisch, parat zu haben. Sie öffnen so manche TĂŒr. Vielleicht vereinfacht sich die Lage dahingehend in Zukunft. Denn an den Schulen wird seit einiger Zeit verstĂ€rkt Englisch gelehrt.

Ivano-Frankivsk selbst empfand ich als ausgesprochen lebenswerte Stadt – klein genug, um alle wesentlichen Punkte bequem zu Fuß erreichen zu können, aber groß genug, um quirlig und vielfĂ€ltig zu sein. Jeden Tag ließ sich im bunten Menschengewimmel der zahlreichen MĂ€rkte, Parks, CafĂ©s und Bars etwas Neues entdecken. Einzig der öffentliche Nahverkehr der Region außerhalb der gĂ€ngigen Zugverbindungen ist hier, genau wie im gesamten Land, zwar sehr preiswert aber mitunter nervenzehrend. RoutenplĂ€ne der Busse, Trolleybusse und Marshrutkas sind selten auffindbar und festgeschriebene Fahrtzeiten gibt es zumindest auf Kurzstrecken eher nicht. Da sind Geduld und Kommunikation mit den Einheimischen gefragt. Nichtsdestotrotz lohnt es, den einen oder anderen Ausflug auch jenseits der wenigen, einschlĂ€gigen Touristenrouten zu wagen. Besonders die Berglandschaft der Karpaten mit ihren ursprĂŒnglichen, bĂ€uerlichen Ansiedlungen ist ein wirkliches Erlebnis!

Betreuung durch IAESTE Ivano-Frankivsk

Die Betreuung der auslĂ€ndischen Praktikanten erfolgt in Ivano-Frankivsk durch das International Office der Nationalen UniversitĂ€t fĂŒr Öl und Gas, das formale Angelegenheiten zuverlĂ€ssig und korrekt bearbeitet und per E-Mail oder im dort ansĂ€ssigen BĂŒro gut zu erreichen ist. Weitere UnterstĂŒtzung bzw. Angebote vor Ort sollte man jedoch nicht erwarten. Das IAESTE-Komitee meiner Studienstadt und vieler anderer StĂ€dte bietet stets diverse AusflĂŒge und AktivitĂ€ten an oder organisiert gesellige Abende mit den auslĂ€ndischen Praktikanten. In Ivano-Frankivsk gab es nichts dergleichen. Zwar wird jedem Praktikanten eine Studentin der FakultĂ€t fĂŒr Sprachwissenschaften als Übersetzerin zugewiesen, die bei der KlĂ€rung von Fragen und Problemen im Laufe des Aufenthalts behilflich sein soll. Doch scheint sich deren Interesse bezĂŒglich IAESTE nicht nur in meinem Fall primĂ€r auf den Erwerb von PraktikumsbestĂ€tigungen und Referenzen und nur Ă€ußerst marginal auf den eigentlichen Kontakt zu den Praktikanten zu konzentrieren. Dementsprechend mager und wenig hilfreich erwies sich schließlich auch der Kontakt. Das ist sehr schade und vielleicht auch nur eine personell bedingte Phase. Ich fĂŒr meinen Teil war jedenfalls wirklich froh darĂŒber, anderweitig sehr schnell Anschluss gefunden zu haben.

Mein Fazit

Alles in allem habe ich meine Zeit in der Ukraine sehr genossen. Die Abstriche, welche ich im fachlichen Arbeitskontext machen musste, haben meine lieben Kollegen und Freunde aus Ivano-Frankivsk tausendfach wieder aufgewogen! Ein wenig Improvisationsgeschick und Gelassenheit sowie tatsĂ€chliche Toleranz, jenseits der durch viele Menschen mehr pseudoweltoffen proklamierten als gelebten, erfordert das Land allerdings. Wer diese Eigenschaften mitbringt oder bereit ist etwas davon anzunehmen, wird in der Ukraine kein Paradies aber ein vielschichtiges und zweifelsohne unendlich bereicherndes StĂŒck Leben erfahren.

Viel Spaß dabei!

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