Die japanischen Inseln sind vulkanischen Ursprungs. In den wenigen Ebenen zwischen dem Pazifik und den unbewohnbaren Gebirgen siedeln schon seit Jahrtausenden Menschen, die trotz Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüchen mittlerweile in der größten Metropolregion der Erde wohnen. Um die Natur und die Kultur Japans mit eigenen Augen zu sehen, bin ich für drei Monate als Praktikantin an die Universität von Tokyo gegangen.
Die Lebensqualität in Tokyo ist sehr hoch. Es gibt keinen Smog, dafür kontrastieren Parks und ruhige Wohngegenden mit Wolkenkratzern und Vergnügungsvierteln für jedes Alter und jeden Geldbeutel. Als Neuankömmling muss man erst einmal verstehen wie diese Stadt funktioniert. Ihr Kreislauf sind die U- und S-Bahnen, die die Vorstadtviertel mit der eigentlichen Stadt Tokyo verbinden.
Ich wurde einer der Pendler, die täglich stundenlang zusammengedrängt Bahn fahren und nur für den Kampf um einen freiwerdenden Sitzplatz kurz aus ihrem Dämmerzustand erwachen. Jeden Morgen zur gleichen Zeit öffnet sich an einem bestimmten Strich auf dem Bahnsteig die gleiche Tür des gleichen Wagens. Die hundert Meter langen Züge fahren in Stoßzeiten minütlich, eine so schnelle Beladung mit entsprechenden Menschenmassen funktioniert nur durch elektronische Schranken und Monatskarten. Schneefall, der im trockenen Tokioer Winter nur selten auftritt, führt zu Verspätungen und dann sind die berühmten Mitarbeiter mit Handschuhen notwendig, die die Reisenden in die Züge stopfen.
Dass diese Millionenstadt so reibungslos funktioniert, liegt am zurückhaltenden, meist höflichen Verhalten ihrer Bewohner. Trotz Millionen Reisender täglich und keiner öffentlichen Mülleimer sind die U- und S-Bahnen, Bahnhöfe und Straßen absolut sauber. Die Kranken tragen Masken um ihre wenige Zentimeter entfernten Mitpendler nicht anzustecken, die Kriminalitätsrate ist verschwindend gering und es ist bis auf die Durchsagen absolut still im Zug, kein Handy bimmelt und so können sich viele Pendler ausgedehnte Nickerchen gönnen.
Ein typischer Pendler ist der männliche Angestellte im schwarzen Anzug, der mit der S-Bahn aus der Vorstadt zur Arbeit fährt und abends mit den Kollegen in einer Kneipe entspannt. In dem Kneipenviertel wird er seine Kinder nicht treffen, denn die vergnügen sich wahrscheinlich beim Karaoke in Shibuya, wohingegen die ausländischen Geschäftsmänner in Roppongi Party machen und die gehobene Unterhaltung für den kultivierten Geschmack und entsprechende Preise in Ginza zu finden ist. Nur eins ist für alle gleich, wollen sie nicht die Nacht bis 5 Uhr morgens durchmachen oder ein Hotelzimmer bezahlen, sollten sie die letzte Bahn gegen Mitternacht nicht verpassen. Auf dem Bahnsteig wimmelt es dann von torkelnden, Pfeiler umarmenden Anzugträgern. Es gehört zum guten Ton trotz mangelnder Alkoholverträglichkeit schnell viel Bier zu trinken und dann zum Sake überzugehen. Denn Japaner feiern gern. Das wird besonders zur Kirschblüte deutlich. Wenn sich alle zum Picknick auf Planen unter den Bäumen versammeln und die Blütenblätter wie Schnee herabfallen, wird gemeinsam getrunken, gegessen und die ganz Extrovertierten tanzen sogar.
Besonders beeindruckend ist die Kirschbaumallee im Uenopark, in dem auch das Nationalmuseum steht. Im Museum wird das gleiche Prinzip wie auch in der japanischen Küche verwendet, d.h. wenige ausgewählte Dinge werden besonders präsentiert. So bekommt man in einem japanischen Restaurant ein Tablett mit einer großen Schüssel Reis oder Nudelsuppe und vielen unterschiedlichen Schüsselchen und Tellerchen mit kleinen nur zwei Bissen großen Happen, in verschiedenen Farben und Geschmacksrichtungen.
Solche Essen waren in meinem Fall besonderen Anlässen vorbehalten, denn sie sind zu teuer für einen Studenten. Deshalb kocht die normale Bevölkerung abends zu Hause, kauft Fertigessen in den Supermärkten oder isst in kleinen Nudelimbissen an den Bahnhöfen. Mein erster Versuch Soba (Buchweizennudeln) in einem solchen Laden zu bestellen, schlug fehl, denn die Köchin nahm keine Bestellung entgegen, sondern nur einen kleinen Zettel, den man vorher gegen Geld aus einem Automaten ziehen musste. Das Prinzip ist mir in den billigen und einfachen Restaurants immer wieder begegnet. Da gibt es einen Knopf für Bier und einen anderen für Soba mit Ei, bloß steht da nicht „Soba mit Ei“ sondern Tsukimi, was so viel wie „den Mond betrachten“ bedeutet. Das Eigelb des aufgeschlagenen Eis bildet den Mond und das Eiweiß die Wolken darum.
An dieser Stelle ist zu bemerken, dass es definitiv von Vorteil ist, vor einem Besuch Japans die grundlegenden Schriftzeichen in Form der Silbenalphabete und Zahlen zu lernen. Sonst muss man auf viele interessante Erfahrungen verzichten oder Enttäuschungen hinnehmen, da es vor allem außerhalb des kerntouristischen Tokyos keine englischsprachigen Zugdurchsagen oder Beschriftungen gibt, d.h. schon das Lesen von Speisekarten und der Preise ist dann nicht möglich. Außerdem ist das Englischsprachniveau des durchschnittlichen Japaners sehr niedrig. Hat man Probleme wird man meist zu einem anderen englischsprechenden Japaner gebracht. Das System funktioniert und mit etwas Geduld können selbst im Zug vergessene Koffer wiedergefunden werden. Reist man in Begleitung von Japanern, ergeben sich solche Probleme natürlich nicht, weshalb ich viel mit meiner Kontaktperson oder anderen Japanern und IAESTE-Praktikanten unternommen habe. Die Kontaktperson ist vor allem am ersten Tag wichtig, wenn man mit ihrer Hilfe vom japanischen Bahnsystem überfordert zu seiner Unterkunft gelangt und dann den Schlüssel vom Vermieter überreicht bekommt. Neben den IAESTE Japan-Studenten habe ich auch durch mein internationales Haus einige Japaner kennengelernt, die dann bei der Buchung von Zugtickets behilflich waren oder mir Soba kochen beigebracht haben. Insofern bekam ich den Eindruck, dass viele Japaner zurückhaltend sind, man aber auch immer auf aufgeschlossene oder kontaktfreudige Menschen trifft
In den drei Monaten habe ich versucht, von Japan so viel wie möglich zu sehen. Das beschränkte sich aber meist auf Entfernungen, die an einem Wochenende möglich waren. Dazu gehörte die alte Hauptstadt Kamakura, die wunderschön am Meer gelegen, mich mit ihrem guten Wetter an Italien erinnerte und die benachbarte Insel Enoshima, mit ihrem Blick auf den Fuji.
Ebenfalls beliebte Ausflugsziele sind Nikko, eine Stadt in den Bergen nördlich Tokyos mit vielen Tempeln und den berühmten drei Affen, die zum Weltkulturerbe gehört und Hakone, das für seine heißen Quellen bekannt ist und auf dessen Ashi-See Piratenboote für die Touristen schippern. Sowohl in Nikko als auch in Hakone kam ich in den Genuss der traditionellen japanischen Bäder. Die sind so heiß, dass Menschen mit niedrigem Blutdruck nach fünf Minuten ohnmächtig werden.
Yokohama, eine Hafenstadt mit fast schon europäischem Aussehen und einer großen Chinatown, ist praktisch mit Tokyo verschmolzen. Interessant für mich war ihr Yamate Bluff-Viertel in den Hügeln über dem Meer, in dem Europäer und Amerikaner im 19. Jahrhundert in westlichen Häusern wohnten und eigene Schulen, Kirchen, Friedhöfe und einen Tennisclub errichteten.
Für die Reise nach Kyoto sollte man sich mehr Zeit nehmen, denn das kulturelle Zentrum Japans besitzt eine unglaubliche Anzahl an Tempeln und Schreinen und ist von Tokyo aus mit dem Schnellzug Shinkansen in wenigen Stunden zu erreichen. Die Stadt wurde in einem Schachbrettmuster angelegt und es gibt neben den Tempeln auch eine alte Burg, das legendäre Vergnügungsviertel Gion und traditionelle Märkte zu sehen. Besonders beliebt ist Kyoto in der Zeit der Kirschblüte und der Laubfärbung, dann ist die Stadt voll mit Touristen.
So konnte ich in drei Monaten von Japan einen schönen Ausschnitt sehen und möchte unbedingt noch einmal hinfahren, um dann auch die tropischen Okinawa-Inseln, Hokkaidos unberührte Natur und solche Ziele wie Osaka, Nara, die Burg von Himeji und den Schrein von Ise zu besuchen. Außerdem würde ich dann mit meinen neuen japanischen Freunden zu einem Baseballspiel oder Sumowettkampf gehen.