202, 520, 793 – das ist die wöchentlichen Fälle von B.1.617.2 in Großbritannien Anfang Mai 2021, in einem Umfeld, in dem der B.1.1.7-Typ (ohne den es Deutschland keine dritte Welle und den zugehörigen Lockdown gegeben hätte) in GB ein R nahe 1 hat (siehe auch Sage-Protokoll unten).
B.1.617.2 ist die Corona-Variante, die zumindest zum Teil für die Ansteckungswelle in Indien verantwortlich ist.
Es sind wenig Datenpunkte, aber leider sieht es wieder genauso aus wie die Daten vom Dezember 2020, als GB Europa (und die Welt) vor B.1.1.7 warnte. Man sieht exponentielles Wachstum der Variante unter Lockdownbedingungen, die ausreichten, um die alte Variante einzudämmen.
Das Sage-Protokoll vom 13.5.2021 erwähnt dann auch eine um 50% erhöhte Übertragbarkeit von B1.617.2 zu B.1.1.7 als Möglichkeit. Diese Schätzung basieren auf Parameteridentifikationsrechnungen; falls ich die Quellen finde, werde ich sie noch hier verlinken.
Das bedeutet insgesamt aber, dass es nun noch teurer werden wird (in Geld und in Freiheit), die neue Variante einzudämmen – denn die Impfungen (ein Immun-Escape von B.1.617.2 ist unklar, aber die aktuellen Impfstoffe scheinen nicht vollkommen unwirksam zu werden) kommen nicht einmal in Großbritannien schnell genug voran, um eine B.1.617.2-Welle allein durch Impfungen zu verhindern.
Daher zieht GB nun für die Risikogruppen die zweite Impfdosis vor, um zumindest ihnen maximalen Schutz zu geben, obwohl das die Impfung aller anderen verlangsamen wird. Und obwohl die Schutzwirkung mit eigentlich mit längerem Impfintervall größer wird. Das zeigt, dass man in GB Zeitdruck sieht:
Appointments for a second dose of a vaccine will be brought forward from 12 to 8 weeks for the remaining people in the top nine priority groups who have yet to receive their second dose. This is to ensure people across the UK have the strongest possible protection from the virus at an earlier opportunity.The move follows updated advice from the independent experts at the Joint Committee on Vaccination and Immunisation (JCVI), which has considered the latest available evidence on the variant and has recommended reducing the dosing interval to help protect the nation from the variant [B.1.617.2]. (NHS Publication Reference C1290)
Um es klar zu sagen: Das ist deprimierend.
Anfang 2020 (vielleicht auch Ende 2019) wurde das Corona-Virus SARS-CoV-2 nach Europa eingeschleppt (in der Ursprungsvariante, die nun „Wildtype“ heißt), es gab zwar einen, noch ganz neuen, PCR-basierten Test, aber kaum Testkapazität. Es gab kaum Schutzmaterialien, sogar in den Krankenhäusern. Es ist verständlich, dass eine unkontrollierte Ausbreitung in Form der ersten Welle passieren konnte. Auch, wenn (sogar) die WHO inzwischen sagt, dass die Pandemie durch schnellere und entschiedenere Reaktion hätte verhindert werden können.
Ende 2020 oder Anfang 2021 wird die ansteckendere Variante B.1.1.7 nach Kontinentaleuropa eingeschleppt, mit deutlicher Vorwarnung. Die neue Variante ist dann verantwortlich für die dritte Welle in Deutschland (und den zugehörigen, teuren Lockdown), die es in dieser Form ohne B.1.1.7 nicht gegeben hätte.
Mehr als ein Jahr nach der Pandemie gelingt nun der neuen, möglicherweise noch ansteckenderen Variante B.1.617.2 die Reise um die halbe Welt nach Europa und inzwischen auch in die EU – so, als ob es das erste Mal wäre.
PS: In vielen Medien wird (auch nach der Initiative von Joe Biden) diskutiert, wie durch Aussetzung von Patenten, die weltweite Corona-Impfkampagne beschleunigt werden könnte, etwa hier:
„Indiens Serum Institute of India ist der weltweit größte Impfstoffhersteller und könnte in relativ kurzer Zeit einen eigenen Impfstoff auf mRNA-Basis herstellen.“ (Welt, Marcel Fratzscher)
Nur: Das Serum-Institute of India hat schon längst eine Lizenz für einen sehr wirksamen Corona-Impfstoff, nämlich AstraZeneca.
Es ist inzwischen vergessen, aber AstraZeneca war der Impfstoff, auf den sowohl die EU als auch die USA bei ihren ersten Bestellungen 2020 massiv gesetzt hatten: Die USA orderten bereits im Mai 2020 (!) 300 Mio Dosen, mehr als von allen anderen Impfstoffen. Die EU orderte im August ebenfals 300 Mio Dosen. Deutlich vor der Bestellung von BioNTech/Pfizer, die erst im November (!) 2020 von der EU angekündigt wurde. In der Realität besteht die Impfkampagne in den USA und der EU von Ende 2020 bis Mitte 2021 dann vor allem aus BioNTech/Pfizer und Moderna – weil sie früh und verlässlich liefern, anders als AstraZeneca.
Im Februar bedauerte der CEO dann per Twitter, dass das Serum Institute der Welt wenig liefere, denn
“[The Serum-Institute of India] has been directed to prioritise the huge needs of India and along with that balance the needs of the rest of the world,”
Der AstraZeneca-Impfstoff ist deutlich einfacher zu produzieren, zu lagern und zu verteilen als mRNA-Impfstoffe, er war 2020 vorgesehen als der Welt-Impfstoff überhaupt. Übrigens soll das Serum-Institute auch eine Milliarde Dosen des proteinbasierten Impfstoffes von Novavax herstellen.
Ach ja: Moderna, der zweite mRNA-Impfstoff, der in der EU (und den USA) massiv eingesetzt wird, hat schon im Oktober 2020 erklärt, dass es in der Pandemie auf die Durchsetzung seiner Patentrechte verzichten wird:
„Accordingly, while the pandemic continues, Moderna will not enforce our COVID-19 related patents against those making vaccines intended to combat the pandemic. Further, to eliminate any perceived IP barriers to vaccine development during the pandemic period, upon request we are also willing to license our intellectual property for COVID-19 vaccines to others for the post pandemic period.“
Bislang hat kein Generika-Hersteller die Produktion des Moderna-Impfstoffes angekündigt.
PPS: Die Unversität von Helsinki hat sogar einen Open-Source Corona-Impfstoff entwickelt, d.h. sie verzichtete von Anfang an auf jegliche Rechte. Es fehlen aber die Zulassungsstudien, die einen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Deutlich zuviel für eine Universität.