Die Sueddeutsche Zeitung liefert auf Sueddeutsche.de nicht nur aktuelle Graphiken zur Corona in Deutschland, sondern auch die Rohdaten.
Wir werfen heute (ohne jegliche Simulation) einen Blick auf Zahl der Covid-19-Kranken auf Intensivstationen. Diese Daten sind (anders als die Zahl der Neuinfektionen, wo es eine hohe Dunkelziffer geben könnte) ziemlich sicher.
Tag 1 ist der 26.4.2020, ab da gibt es erst Daten im DIVI-Register. Hier sind die Daten von Sueddeutsche.de allerdings mit einer logarithmisch skalierten y-Achse.
Man sieht, dass die Daten zwischen Tag 150 und Tag 170 ziemlich gut auf einer Geraden liegen, was auf exponentielles Wachstum hinweist. Die letzten 6 Tage liegen scheinen auf einer noch etwas steileren Gerade zu liegen.
Passen wir also testweise (mit der Methode der kleinsten Quadrate) eine Gerade an die Tage 150 bis 170 an und eine weitere an die Tage 171 bis 176.
Wir können die angepassten Geraden in die Zukunft fortführen, was die magentafarbene gestrichelte Linie und rote gestrichelte Linie ergibt.
Die horizontale, grüne, gepunktete Linie liegt bei 10000 Betten, was in etwa den aktuell freien Intensivbetten in ganz Deutschland entspricht. Die rote gepunktete Linie darüber liegt bei 30000 Betten, was in etwa die Gesamtzahl der Intensivbetten in Deutschland ist.
Man sieht, dass im schlimmeren Szenario (rote gestrichelte Linie) schon am Tag 188 die Grenze von 10000 Intensivbetten überschritten wird (das ist in 12 Tagen); setzt sich das Wachstum weiter genauso fort, wird am Tag 194, das heisst nur 6 Tage später, die Grenze von 30000 Intensivbetten überschritten. Dann wären alle Intensivbetten durch schwer an Covid-19 Erkrankte belegt.
Fällt das Wachstum langsamer aus (also in etwa so, wie es zwischen Tag 150 und Tag 170 war) so dauert es bis Tag 249, bis 10000 Intensivbetten erreicht sind. Das ist ungefähr zum Jahreswechsel 2020/2021.
Es dauert dann (nur) noch bis zum Tag 279, bis auch die restlichen Intensivbetten belegt sein werden, also 30000 Intensivbetten erreicht werden. Das ist nur 30 Tage später.
Bemerkung: Die rote gestrichelte Linie entspricht einer Verdopplungszeit von etwa 4 Tagen, die magentafarbene einer Verdopplungszeit von etwa 19 Tagen.
Zu bedenken ist auch, dass lokal schon viel früher Knappheit an Intensivkapazitäten auftreten kann. Zudem kann menschliches Leid bereits mit der vorausschauenden Freihaltung von Intensivbetten und der Verschiebung von anderen Behandlungen und Operationen beginnen.
Zu bedenken ist auch, dass etwa ein Viertel der Menschen versterben, die mit Covid-19 auf eine Intensivstation kommen.
Die aktuellen Zahlen laut Situationsreport des RKI vom 26.10.2020:
Aktuell werden 46 Prozent der Covid-19-Intensivpatienten invasiv beatmet.
Von den 19757 Menschen mit Covid-19, deren intensivmedizinischen Behandlung zum heutigen Zeitpunkt abgeschlossen ist, sind 23 Prozent verstorben (genauer gesagt 4529 Menschen). Wer invasiv beatmet wird hat laut Corona-Steckbrief des RKI in Deutschland eine etwa 50-prozentige Chance zu überleben.
Für alle staatlichen Maßnahmen ist zu bedenken, dass es von der Ansteckung bis zur Aufnahme auf eine Intensivstation einen erheblichen Zeitverzug gibt.
Das RKI rechnet aktuell mit (im Median) 10 Tagen von den ersten Symptomen bis zur Aufnahme auf eine Intensivstation. Es geht weiter von (im Median) 16 Tagen vom Symptombeginn bis zum Tod aus. Die Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation bei invasiver Beatmung ist im Median 18 Tage! (Dabei werden für einen Intensivbehandlung mit Beatmung pro Fall etwa 40000 Euro an Kosten verursacht, schwerste Fälle verursachen Kosten bis zu 85000 Euro.)
Natürlich wird keines der Szenarien so eintreten, denn steigende Vorsicht, Maßnahmen der Landkreise etc. werden schon in wenigen Wochen dazu führen, dass sich die Wachstumsgeschwindigkeit verlangsamen wird (allerdings mit erheblichen Zeitverzug, s.o.; zumindest bleibt zu hoffen, dass weniger Menschen die Masken weiterhalb unterhalb der Nase tragen). Witterung und andere Faktoren arbeiten allerdings in die Gegenrichtung.
Wenn Personen mit erhöhtem Risiko auf FFP2-Masken (und äquivalente CPA-Masken) umsteigen würden, würde das die Anzahl der Intensivpatienten sicher ebenfalls noch einmal reduzieren. CPA-Masken gibt es inzwischen für 2,50 Euro das Stück; sogar inzwischen von einem sächsischen Hersteller, produziert in Sachsen mit Maschinen aus Sachsen.
Die Filterleistung von N95/FFP2/KN95/…-Masken bleibt ca. 8 bis 12 Stunden ausreichend sogar für den medizinischen Einsatz (siehe Empfehlungen der amerikanischen Seuchenbehörde CDC). Auch danach (die Masken bitte rotieren) werden sie sehr wahrscheinlich besser filtern als Alltagsmasken aus Baumwolle.
Stellungnahme aus der Wissenschaft zur Lage
Bemerkung: Zur sich verschärfenden Corona-Lage in Deutschland haben die vier großen nicht-universitären Wissenschaftsorganisationen (Fraunhofer, Helmholtz, Leibniz-, und Max-Planck-Gesellschaft) gemeinsam mit der Leopoldina eine Erklärung verfasst („Gemeinsame Erklärung der Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina„), die am 27.10.2020 veröffentlich wurde.
Der Titel ist „Coronavirus-Pandemie: Es ist ernst„.
- Ein wesentliches, dort vorgebrachtes Argument ist, dass die Lage außer Kontrolle geraten kann, sobald den Gesundheitsämtern die Kontaktnachverfolgung nicht mehr gelingt. Dies bedeutet, dass das Szenario mit einer dauerhaften Reproduktionszahl R nahe 1,2 (aktuell eher zwischen 1,2 und 1,4) zu optimistisch ist.
Denn die Kontaktnachverfolgung trägt maßgeblich dazu bei, dass R klein bleibt, indem Ansteckungsketten unterbrochen werden (auch die Corona-Warn-App könnte dies leisten, aber sie wird immer noch zu wenig genutzt; wenn sie genutzt wurde, scheint ein fehlendes Häkchen auf dem Testformular (immernoch?) Probleme zu machen). Das bedeutet, dass R ab einem „Kipppunkt“ deutlich wachsen wird, was zu einem beschleunigten exponentiellen Wachstum führen würde. Das Dokument diskutiert neben den Neuinfektionen auch die erwarteten Sterbezahlen (Abbildung 3) und weist noch einmal auf den Zeitverzug nach Eindämmungsmaßnahmen hin.
- Ein weiteres Argument ist, dass bei spätem Handeln die Eindämmungmaßnahmen lange aufrecht erhalten werden müssen, was zu sehr viel höheren Kosten führen würde
Was soll getan werden? Konkret wird vorgeschlagen, die
„Reduktion von Kontakten ohne Vorsichtsmaßnahmen auf ein Viertel„!
Es wird als Ziel formuliert: „Das Ziel muss es sein, die Fallzahlen so weit zu senken, dass die Gesundheitsämter die Kontaktnachverfolgung wieder vollständig durchführen können. Sobald dies möglich ist, können die Beschränkungen vorsichtig gelockert werden, ohne dass unmittelbar eine erneute Pandemiewelle droht. Das muss aber bereits jetzt vorbereitet werden. Nach etwa 3 Wochen deutlicher Reduktion von Kontakten ohne Vorsichtsmaßnahmen wird es entscheidend sein, die nachfolgenden Maßnahmen bundesweit einheitlich und konsequent durchzusetzen, um die dann erreichte niedrige Fallzahl zu halten. Hierfür ist eine breit angelegte Kommunikations-Anstrengung notwendig, die in ganz Deutschland an allen öffentlichen Orten die AHA+L+A (Abstands-, Hygiene-und Alltagsmasken, Lüften, Corona-Warn-App)-Regeln unzweideutig und bundesweit einheitlich kommuniziert. Die Einhaltung dieser fundamentalen Regeln sollte besser kontrolliert und bei Nichtbeachtung konsequent geahndet werden. Das beinhaltet die stringente Einhaltung der Maskenpflicht sowie eine Kontrolle der Hygiene-Konzepte z.B. in Hotels, Restaurants und auf Veranstaltungen.“ (Seite 6 der Erklärung)
Als weitere Maßnahmen wird empfohlen:
- Schutz von Risikogruppen,
- verbesserte Kommunikation mit Beispielen,
- Masken auch in Schulen,
- verstärkte Nutzung der Corona-Warn-App,
- freiwillige Einschränkung von privaten Kontakten,
- Schärfung und Kontrolle von Hygiene-Konzepten.