Die Bund-Länder-Beschlüsse von heute kann man wie folgt zusammenfassen: Je niedriger die (Melde-)Inzidenz, desto normaler das Leben. Je höher die Inzidenz, desto mehr Lockdown kehrt zurück.
Das heisst, wer die lokale Innenstadt retten will, muss mithelfen, die Inzidenz niedrig zu halten.
Die Zahl des Tages ist 100. Liegt in einem Landkreis drei Tage lang die 7-Tage-Inzidenz über 100, kommt der Lockdown zurück.
Die Beschlüsse zeigen auch eins sehr deutlich: Die Politik wird nicht von Virologen bestimmt. Die Zahl 100 ist nicht wissenschaftlich begründet. Sie wurde gewählt, weil die meisten Landkreise aktuell zwischen 50 und 100 liegen, also noch ein bisschen Luft zur 100 ist.
Inzwischen sind fast 50 Prozent der Ansteckungen durch die Corona-Variante B.1.1.7 verursacht, von der man inzwischen sehr genau weiß, dass sie schwer einzudämmen ist. Nicht mal der Lockdown vom Januar und Februar in Deutschland reichte, um B.1.1.7 von der Ausbreitung abzuhalten. Es ist klar, dass B.1.1.7 in Kürze große Teile Deutschlands zurück in den Lockdown bringen wird (die „Notbremse“ bei Inzidenz > 100; man beachte dabei: seit Herbst 2020 werden nur noch symptomatische Fälle getestet). Das Risiko, dass die dritte Welle viele Opfer fordert, wird von der Politik eingegangen.
Deswegen sind die Beschlüsse auch eine Kapitulation vor dem Druck der Wirtschaft und aus der Bevölkerung. Der Wunsch nach Normalität ist verständlich. Wir haben uns offenbar an die Lage gewöhnt: Aktuell liegen 3000 Corona-Infizierte auf den Intensivstationen. Davon werden 1000 in den nächsten Wochen sterben. Mehr als 300 Menschen pro Tag starben in den letzten 2 Wochen. Die Langzeitschäden werden noch gar nicht systematisch erfasst.
Andererseits sind die Beschlüsse auch ein Aufbruch zu mehr Eigenverantwortung des Bürgers (endlich Selbsttests!), mehr Testen (mindestens ein Schnelltest pro Woche in Schulen, Kindergärten, …, leider nicht in Firmen) und mehr Digitalisierung, vielleicht Luftfilter (wahrscheinlich den Kommunen weiterhin zu teuer). Wenn das alles kommt, kommt es reichlich spät (und ist immer noch zu wenig), aber immerhin.
Ob es reichen wird, eine starke dritte Welle zu vermeiden kann aktuell niemand wissen. Die große Unsicherheit ist das Verhalten der Menschen. Wie diszipliniert werden die Deutschen sein?
Wenn ich mich aktuell umschaue, dann habe große Zweifel an der Disziplin der Deutschen. Im (!) Supermarkt sehe ich Menschen mit Maske unter dem Kinn einkaufen. Und noch mehr Menschen mit Maske unter der Nase. In geschlossenen Räumen ist das rücksichtslos gegenüber anderen Kunden, aber besonders gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Und nun – mittelbar – auch rücksichtslos gegenüber der lokalen Wirtschaft.
Nachtrag (06.03.2021): Die ersten Lieferungen von Selbst-Schnelltests in Discountern und Drogerien sind heute innerhalb kürzester Zeit ausverkauft gewesen. Das zeigt, wie kurzsichtig es war, dass man dieses Mittel bisher, aus Rücksicht auf Partikularinteressen, nicht genutzt hat. Die Bereitschaft, sich selbst zu testen, scheint sehr groß zu sein. Die Selbst-Schnelltests hätten, auch in Deutschland, schon seit einem halbem Jahr zur Verfügung stehen können. – Und offenbar reichen die vom Bund gesicherten Mengen für die Schulen und Kindergärten nur für einen Test pro Woche, statt (was sicherer wäre) zwei Tests pro Woche.)