27. Juli 2021 – Oliver Rheinbach Allgemein

Corona-Infektion oder Corona-Impfung? Wie groß ist das Risiko in Zahlen (soweit wir das wissen).

Der Beginn der Corona-Pandemie ist mehr als ein Jahr her.

Was wissen wir inzwischen über die Risiken einer Corona-Infektion?

Es gibt natürlich inzwischen viele Daten (Achtung allerdings: Die Deltavariante B.1.617.2 könnte etwas gefährlicher sein – Nachtrag 28.8.2021: Delta scheint nach britischen Daten die Gefahr von schweren Verläufen mit Krankenhausaufenthalt gegenüber der Alpha-Variante etwa zu verdoppeln – und auch für Geimpfte ist Delta gefährlicher:

The HRs for vaccinated patients with the delta variant versus the alpha variant (adjusted HR for hospital admission 1·94 [95% CI 0·47–8·05] and for hospital admission or emergency care attendance 1·58 [0·69–3·61]) were similar to the HRs for unvaccinated patients (2·32 [1·29–4·16] and 1·43 [1·04–1·97]; p=0·82 for both) but the precision for the vaccinated subgroup was low.
Lancet Infect Dis 2021. https://doi.org/10.1016/ S1473-3099(21)00474-6

HR=Hazard Ratio).

 

Risiken der Corona-Infektion

Das Risiko an Covid-19 zu sterben – eine Altersfrage

Die Übersichtsarbeit

Levin, A.T., Hanage, W.P., Owusu-Boaitey, N. et al. Assessing the age specificity of infection fatality rates for COVID-19: systematic review, meta-analysis, and public policy implications. Eur J Epidemiol 35, 1123–1138 (2020). https://doi.org/10.1007/s10654-020-00698-1

hat die Daten von 27 anderen Arbeiten ausgewertet hat.

Darin wird für die Infection Fatality Rate (IFR, Anzahl Tote pro Anzahl Infektionen) nach Lebensalter per Regression sogar eine einfache Formel bestimmt:

log10(IFR) = -3,27 + 0,0524 * Alter

mit relativ engen Standardfehlern für die Konstanten (0,07 und 0,0013).

Also folgt das Risiko, an Covid-19 zu versterben einer Exponentialfunktion in Abhängigkeit vom Lebensalter:

 IFR=10(-3,27 + 0,0524 * Alter)

Sie schreiben entsprechend:

„The estimated age-specific IFR is very low for children and younger adults (e.g., 0.002% at age 10 and 0.01% at age 25) but increases progressively to 0.4% at age 55, 1.4% at age 65, 4.6% at age 75, and 15% at age 85.“ https://doi.org/10.1007/s10654-020-00698-1

Allerdings gibt es für ganz kleine Kinder wenig Daten, so dass es zu Abweichungen von der Formel kommen kann;

Da wir uns an Infektions-Inzidenzen gewöhnt haben, die in Fällen pro 100000 Menschen angegeben werden, hier die Auswertung der Formel in Toten pro 100000 Infektionen (gerundet auf die zwei größten Ziffern)

Alter 5 10 15 20 25 30 35 40 45
IFR 1 1,8 3,3 6 11 20 37 67 120
Alter 50 55 60 65 70 75 80 85 90
IFR 220 410 750 1400 2500 4600 8400 15000 28000

Die Zahlen mögen niedrig erscheinen, allerdings war das Risiko für Astronauten bei einem  Spaceshuttle-Flug umzukommen etwa 1:100, entspricht also 1000 in der obigen Tabelle (1000 Tote pro 100000 Astronauten).

Das Risiko durch Covid-19 im Krankenhaus zu landen – auch für jüngere Menschen ein reales Risiko

Allerdings ist das nackte Überleben nicht alles. Es gibt die bekannten Langzeitfolgen Corona-Infektion. Auch wenn um die genaue Definition von Long-Covid immernoch gerungen wird, so gehören anhaltende Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und Leistungsverlust definitiv dazu. Offenbar berichten gerade fitte Sportler von körperlichen Leistungsverlusten, wahrscheinlich, weil Sie ihre eigenen Leistungsparametern aufmerksamer beobachten.

Über die Vielfalt (und den aktuellen Stand der Therapie) von Long-Covid aus klinischer Sicht kann man sich etwa hier informieren: „S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID„.

Auch bei symptomlosen Kindern wurden Marker für Mikrothrombosen (TMA – Complement-mediated thrombotic microangiopathy) gefunden (Orginalartikel in Blood Adv (2020) 4 (23): 6051–6063; hier die Kurzbesprechung auf Scinexx).
Diese Mikrothrombosen könnten Langzeitfolgen haben, die lange unerkannt bleiben könnten, darunter Bluthochdruck und Nierenleiden („hypertension, pulmonary hypertension, stroke, and chronic kidney disease“); zumindest scheint das für TMA mit einer anderen Ursache (HSCT-TMA) bekannt zu sein.

Klar ist, dass nach einem Covid-19-bedingten Krankenhausaufenthalt das Risiko für Langzeitfolgen signifikant ist.

Will man das Risiko für einen Covid-19-verursachten Krankenhausaufenthalt abschätzen, kann man sich diese Arbeit ansehen:

Palmer Sam, Cunniffe Nik and Donnelly Ruairí 2021 COVID-19 hospitalization rates rise exponentially with age, inversely proportional to thymic T-cell production J. R. Soc. Interface. 182020098. 220200982. http://doi.org/10.1098/rsif.2020.0982

Auch junge Menschen kommen wegen Covid-19 ins Krankenhaus, überleben aber mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit als Ältere.

Die Autoren finden ebenfalls eine exponentielle Beziehung zwischen Alter und Hospitalisierung. Dabei verdoppelt sich die Hopitalisierungsrate alle 16 Lebensjahre, was etwa einem Anstieg um etwa 4,5 Prozent pro Jahr entspricht (71/4,5 ist fast 16). Sie stellen auch die Vermutung an, dass die Ursache die T-Zell-Produktion ist, die mit dem Alter abnimmt. Für Menschen unter 20 liegt die Hospitalisierungsrate noch niedriger als das Modell vorhersagt.

Eine grobe Schätzung ist, dass die altersabhängige Hospitalisierungsrate  (probability of severe disease given infection) proportional zu

e0,044*Alter

ist, was

10(0.019*Alter)

entspricht. Der Vergleich mit der IFR zeigt, dass das Hospitalisierungsrate weniger schnell mit dem Alter steigt. Tatsächlich verdoppelt sich das Risiko (IFR) an Covid-19 zu versterben etwa alle 6 Lebensjahre; das Risiko, mit Covid-19 ins Krankenhaus zu kommen verdoppelt sich dagegen nur alle 16 Jahre.

Aus der Abbildung S4 des Zusatzmaterials lässt sich ablesen, dass die Krankenhauseinweisung für die Altergruppe 80-89 Lebensjahre fast sicher ist (nahe 1).

  • Für die Gruppe der 80-89jährigen liegt die Hospitalisierungsrate nahe 100 Prozent.
  • Für die Gruppe der 40-49jährigen liegt die Hospitalisierungsrate oberhalb von 10 Prozent.
  • Für die 20-29jährigen liegt sie nahe 5 Prozent (was überraschend viel ist).
  • Für die Gruppe U20 liegt das Risiko noch einmal deutlich unterhalb des vermuteten Exponentialgesetzes; ihr Risiko liegt bei 1 Prozent (auch nicht wenig, wenn man bedenkt, dass ein Szenario für die vierte Welle im Spätsommer/Herbst 2021 die Durchseuchung der Kinder und Jugendlichen ist.).
  • Es ist wichtig in aktuellen Lange, in der die Durchseuchung der (ungeimpften) Kinder durch Delta im Spätsommer und Herbst 2021 bevorsteht, noch einmal zu betonen: Für die Kinder liegt das Risiko eines Krankenhausaufenthaltes durch Covid-19 in der Nähe von 1 Prozent. In einer Schule mit 1000 Schülern landen bei Durchseuchung also 10 im Krankenhaus. Würde das durch einen Verkehrsunfall passieren, wäre es sicher eine große Sache in den Medien.

Lebensgefährlich ist bei Kindern und Jugendlichen allerdings eher nicht die Corona-Infektion selbst, sondern (auch in symptomlosen Fällen) das zum Glück recht seltene, erst Wochen später auftretende PIMS-Syndrom; davon wurden in Deutschland bisher einige hundert Fälle gemeldet (vom 27.5.2020 bis 25.07.2021 wurden 395 Kinder und Jugendliche gemeldet). PIMS trifft Babys, Kleinkinder, Jugendliche und sogar die Gruppe der 16-21jährigen. Nur die Hälfte der Betroffenen wird als vollkommen wiederhergestellt entlassen.

Je nachdem, welche Durchseuchungsrate man bei den 0-21jährigen (ca. 15 Mio in Deutschland) aktuell annimmt (bei aktuell 4 Mio offiziellen Coronafällen insgesamt in Deutschland und einer Bevölkerung von 80 Mio) kann man grob auf 100 PIMS-Fälle pro 100000 Infektionen bei Kindern und Jugendlichen kommen; also auf ein Risiko von 1:1000; das ist nicht wenig, wenn man die Langzeitkonsequenzen bedenkt.

Das Risiko von Langzeitfolgen für das Gehirn

Eine neue Studie quantifiziert nun auch erstmals die anekdotisch schon länger bekannten Gehirnleistungsverluste nach Covid-19-Erkrankung:

A. Hampshire et al., Cognitive deficits in people who have recovered from COVID-19, EClinicalMedicine (2021), https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2021.101044

Für Covid-19-Genesene, die beatmet wurden, wurde ein IQ-Verlust von 7 Punkten gemessen (0,47 SD=0,47 Standardabweichungen), was den Autoren zufolge einer Gehirnalterung von 10 Jahren entspricht. Dazu muss man sagen, dass 7 IQ-Punkte Welten sind. Per Definition ist der IQ-Mittelwert 100 und die Standardabweichung 15. Daher liegen 68 Prozent der IQs zwischen 85 und 115.

Für junge Menschen (mit noch langer Karriere vor sich) bedenklich ist, dass auch für Verläufe mit leichten Symptomen ein IQ-Verlust beobachtet wurde. Da der Artikel unter einer Creative Commons-Lizenz steht, kann ich die entscheidende Abbildung hier einfügen (der obere Teil (A) ist der relevante Teil):

Image under CC BY-NC-ND license; http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/; Figure 2 from A. Hampshire et al., Cognitive deficits in people who have recovered from COVID-19, EClinicalMedicine (2021), https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2021.101044

Risiken der Impfung

Die ersten Anhaltspunkte, um die Risiken der Corona-Impfungen in Deutschland abzuschätzen, können die Sicherheitsberichte des PEI geben, wobei mit einer Dunkelziffer gerechnet werden muss (underreporting).
Die Einschränkung der Empfehlung für den Vexzevria-Impfstoffes von AstraZeneca auf Menschen über 60 wurde mit dem Risiko einer Sinusvenentrhombose begründet, eine in der Tat lebensgefährliche Komplikation.
Wie häufig ist sie? Der Preprint
Cerebral venous thrombosis and portal vein thrombosis: a retrospective cohort study of 537,913 COVID-19 cases
Maxime Taquet, Masud Husain, John R Geddes, Sierra Luciano, Paul J Harrison
erlaubt eine grobe Einschätzung für die Sinusvenenthrombose (cerebral venous thrombosis, CVT) und die ebenfalls gefährliche Pfortaderthrombose (portal vein thrombosis, PCT). Beide treten können erst Wochen nach der Impfung auftreten. Deswegen sollte etwa beim Auftreten von starken Kopfschmerzen schnell ein Arzt aufgesucht werden.
Die erste Version dieses Preprints ging im April 2021 stark durch die Presse da ein Nebenaspekt des Artikels hervorgehoben wurde (Vergleich der Thrombosehäufigkeit durch Vexrevria und BioNTech), der eigentlich gar nicht untersucht worden ist. Inzwischen liegt die dritte Fassung des Preprints vor. Darin liest sich nun:
Sinusvenenthrombose:
  • Nach dem mRNA-Impfstoffen Comirtany von BioNTech/Pfizer und Spikevax von Moderna: „Daten kompatibel mit 0,05 pro 100000“.
  • Nach Vexrevria von AstraZeneca: wird mit etwa 0,5 pro 100000 zitiert.
  • Nach Janssen: wird mit 0,1 pro 100000 Impfungen zitiert.
  • Nach Covid-19-Diagnose: 4,3 pro 100000; in 17% der Fälle tödlich.

Tatsächlich ist die Gefahr einer tödlichen PVT nach einer Covid-19-Diagnose deutlich höher (in 19% der beobachteten Fälle tödlich): 40 pro 100000.

Die Thrombosegefahr scheint höher zu sein, bei einer Vorbelastung durch Herz-Kreislauferkrankungen (und entsprechend niedriger beim Fehlen einer Vorbelastung).

 

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