27. Juli 2021 – Oliver Rheinbach

Corona-Infektion oder Corona-Impfung? Wie groß ist das Risiko in Zahlen (soweit wir das wissen).

Der Beginn der Corona-Pandemie ist mehr als ein Jahr her.

Was wissen wir inzwischen über die Risiken einer Corona-Infektion?

Es gibt natürlich inzwischen viele Daten (Achtung allerdings: Die Deltavariante B.1.617.2 könnte etwas gefährlicher sein – Nachtrag 28.8.2021: Delta scheint nach britischen Daten die Gefahr von schweren Verläufen mit Krankenhausaufenthalt gegenüber der Alpha-Variante etwa zu verdoppeln – und auch für Geimpfte ist Delta gefährlicher:

The HRs for vaccinated patients with the delta variant versus the alpha variant (adjusted HR for hospital admission 1·94 [95% CI 0·47–8·05] and for hospital admission or emergency care attendance 1·58 [0·69–3·61]) were similar to the HRs for unvaccinated patients (2·32 [1·29–4·16] and 1·43 [1·04–1·97]; p=0·82 for both) but the precision for the vaccinated subgroup was low.
Lancet Infect Dis 2021. https://doi.org/10.1016/ S1473-3099(21)00474-6

HR=Hazard Ratio).

 

Risiken der Corona-Infektion

Das Risiko an Covid-19 zu sterben – eine Altersfrage

Die Übersichtsarbeit

Levin, A.T., Hanage, W.P., Owusu-Boaitey, N. et al. Assessing the age specificity of infection fatality rates for COVID-19: systematic review, meta-analysis, and public policy implications. Eur J Epidemiol 35, 1123–1138 (2020). https://doi.org/10.1007/s10654-020-00698-1

hat die Daten von 27 anderen Arbeiten ausgewertet hat.

Darin wird für die Infection Fatality Rate (IFR, Anzahl Tote pro Anzahl Infektionen) nach Lebensalter per Regression sogar eine einfache Formel bestimmt:

log10(IFR) = -3,27 + 0,0524 * Alter

mit relativ engen Standardfehlern für die Konstanten (0,07 und 0,0013).

Also folgt das Risiko, an Covid-19 zu versterben einer Exponentialfunktion in Abhängigkeit vom Lebensalter:

 IFR=10(-3,27 + 0,0524 * Alter)

Sie schreiben entsprechend:

„The estimated age-specific IFR is very low for children and younger adults (e.g., 0.002% at age 10 and 0.01% at age 25) but increases progressively to 0.4% at age 55, 1.4% at age 65, 4.6% at age 75, and 15% at age 85.“ https://doi.org/10.1007/s10654-020-00698-1

Allerdings gibt es für ganz kleine Kinder wenig Daten, so dass es zu Abweichungen von der Formel kommen kann;

Da wir uns an Infektions-Inzidenzen gewöhnt haben, die in Fällen pro 100000 Menschen angegeben werden, hier die Auswertung der Formel in Toten pro 100000 Infektionen (gerundet auf die zwei größten Ziffern)

Alter 5 10 15 20 25 30 35 40 45
IFR 1 1,8 3,3 6 11 20 37 67 120
Alter 50 55 60 65 70 75 80 85 90
IFR 220 410 750 1400 2500 4600 8400 15000 28000

Die Zahlen mögen niedrig erscheinen, allerdings war das Risiko für Astronauten bei einem  Spaceshuttle-Flug umzukommen etwa 1:100, entspricht also 1000 in der obigen Tabelle (1000 Tote pro 100000 Astronauten).

Das Risiko durch Covid-19 im Krankenhaus zu landen – auch für jüngere Menschen ein reales Risiko

Allerdings ist das nackte Überleben nicht alles. Es gibt die bekannten Langzeitfolgen Corona-Infektion. Auch wenn um die genaue Definition von Long-Covid immernoch gerungen wird, so gehören anhaltende Müdigkeit, Konzentrationsstörungen und Leistungsverlust definitiv dazu. Offenbar berichten gerade fitte Sportler von körperlichen Leistungsverlusten, wahrscheinlich, weil Sie ihre eigenen Leistungsparametern aufmerksamer beobachten.

Über die Vielfalt (und den aktuellen Stand der Therapie) von Long-Covid aus klinischer Sicht kann man sich etwa hier informieren: „S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID„.

Auch bei symptomlosen Kindern wurden Marker für Mikrothrombosen (TMA – Complement-mediated thrombotic microangiopathy) gefunden (Orginalartikel in Blood Adv (2020) 4 (23): 6051–6063; hier die Kurzbesprechung auf Scinexx).
Diese Mikrothrombosen könnten Langzeitfolgen haben, die lange unerkannt bleiben könnten, darunter Bluthochdruck und Nierenleiden („hypertension, pulmonary hypertension, stroke, and chronic kidney disease“); zumindest scheint das für TMA mit einer anderen Ursache (HSCT-TMA) bekannt zu sein.

Klar ist, dass nach einem Covid-19-bedingten Krankenhausaufenthalt das Risiko für Langzeitfolgen signifikant ist.

Will man das Risiko für einen Covid-19-verursachten Krankenhausaufenthalt abschätzen, kann man sich diese Arbeit ansehen:

Palmer Sam, Cunniffe Nik and Donnelly Ruairí 2021 COVID-19 hospitalization rates rise exponentially with age, inversely proportional to thymic T-cell production J. R. Soc. Interface. 182020098. 220200982. http://doi.org/10.1098/rsif.2020.0982

Auch junge Menschen kommen wegen Covid-19 ins Krankenhaus, überleben aber mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit als Ältere.

Die Autoren finden ebenfalls eine exponentielle Beziehung zwischen Alter und Hospitalisierung. Dabei verdoppelt sich die Hopitalisierungsrate alle 16 Lebensjahre, was etwa einem Anstieg um etwa 4,5 Prozent pro Jahr entspricht (71/4,5 ist fast 16). Sie stellen auch die Vermutung an, dass die Ursache die T-Zell-Produktion ist, die mit dem Alter abnimmt. Für Menschen unter 20 liegt die Hospitalisierungsrate noch niedriger als das Modell vorhersagt.

Eine grobe Schätzung ist, dass die altersabhängige Hospitalisierungsrate  (probability of severe disease given infection) proportional zu

e0,044*Alter

ist, was

10(0.019*Alter)

entspricht. Der Vergleich mit der IFR zeigt, dass das Hospitalisierungsrate weniger schnell mit dem Alter steigt. Tatsächlich verdoppelt sich das Risiko (IFR) an Covid-19 zu versterben etwa alle 6 Lebensjahre; das Risiko, mit Covid-19 ins Krankenhaus zu kommen verdoppelt sich dagegen nur alle 16 Jahre.

Aus der Abbildung S4 des Zusatzmaterials lässt sich ablesen, dass die Krankenhauseinweisung für die Altergruppe 80-89 Lebensjahre fast sicher ist (nahe 1).

  • Für die Gruppe der 80-89jährigen liegt die Hospitalisierungsrate nahe 100 Prozent.
  • Für die Gruppe der 40-49jährigen liegt die Hospitalisierungsrate oberhalb von 10 Prozent.
  • Für die 20-29jährigen liegt sie nahe 5 Prozent (was überraschend viel ist).
  • Für die Gruppe U20 liegt das Risiko noch einmal deutlich unterhalb des vermuteten Exponentialgesetzes; ihr Risiko liegt bei 1 Prozent (auch nicht wenig, wenn man bedenkt, dass ein Szenario für die vierte Welle im Spätsommer/Herbst 2021 die Durchseuchung der Kinder und Jugendlichen ist.).
  • Es ist wichtig in aktuellen Lange, in der die Durchseuchung der (ungeimpften) Kinder durch Delta im Spätsommer und Herbst 2021 bevorsteht, noch einmal zu betonen: Für die Kinder liegt das Risiko eines Krankenhausaufenthaltes durch Covid-19 in der Nähe von 1 Prozent. In einer Schule mit 1000 Schülern landen bei Durchseuchung also 10 im Krankenhaus. Würde das durch einen Verkehrsunfall passieren, wäre es sicher eine große Sache in den Medien.

Lebensgefährlich ist bei Kindern und Jugendlichen allerdings eher nicht die Corona-Infektion selbst, sondern (auch in symptomlosen Fällen) das zum Glück recht seltene, erst Wochen später auftretende PIMS-Syndrom; davon wurden in Deutschland bisher einige hundert Fälle gemeldet (vom 27.5.2020 bis 25.07.2021 wurden 395 Kinder und Jugendliche gemeldet). PIMS trifft Babys, Kleinkinder, Jugendliche und sogar die Gruppe der 16-21jährigen. Nur die Hälfte der Betroffenen wird als vollkommen wiederhergestellt entlassen.

Je nachdem, welche Durchseuchungsrate man bei den 0-21jährigen (ca. 15 Mio in Deutschland) aktuell annimmt (bei aktuell 4 Mio offiziellen Coronafällen insgesamt in Deutschland und einer Bevölkerung von 80 Mio) kann man grob auf 100 PIMS-Fälle pro 100000 Infektionen bei Kindern und Jugendlichen kommen; also auf ein Risiko von 1:1000; das ist nicht wenig, wenn man die Langzeitkonsequenzen bedenkt.

Das Risiko von Langzeitfolgen für das Gehirn

Eine neue Studie quantifiziert nun auch erstmals die anekdotisch schon länger bekannten Gehirnleistungsverluste nach Covid-19-Erkrankung:

A. Hampshire et al., Cognitive deficits in people who have recovered from COVID-19, EClinicalMedicine (2021), https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2021.101044

Für Covid-19-Genesene, die beatmet wurden, wurde ein IQ-Verlust von 7 Punkten gemessen (0,47 SD=0,47 Standardabweichungen), was den Autoren zufolge einer Gehirnalterung von 10 Jahren entspricht. Dazu muss man sagen, dass 7 IQ-Punkte Welten sind. Per Definition ist der IQ-Mittelwert 100 und die Standardabweichung 15. Daher liegen 68 Prozent der IQs zwischen 85 und 115.

Für junge Menschen (mit noch langer Karriere vor sich) bedenklich ist, dass auch für Verläufe mit leichten Symptomen ein IQ-Verlust beobachtet wurde. Da der Artikel unter einer Creative Commons-Lizenz steht, kann ich die entscheidende Abbildung hier einfügen (der obere Teil (A) ist der relevante Teil):

Image under CC BY-NC-ND license; http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/; Figure 2 from A. Hampshire et al., Cognitive deficits in people who have recovered from COVID-19, EClinicalMedicine (2021), https://doi.org/10.1016/j.eclinm.2021.101044

Risiken der Impfung

Die ersten Anhaltspunkte, um die Risiken der Corona-Impfungen in Deutschland abzuschätzen, können die Sicherheitsberichte des PEI geben, wobei mit einer Dunkelziffer gerechnet werden muss (underreporting).
Die Einschränkung der Empfehlung für den Vexzevria-Impfstoffes von AstraZeneca auf Menschen über 60 wurde mit dem Risiko einer Sinusvenentrhombose begründet, eine in der Tat lebensgefährliche Komplikation.
Wie häufig ist sie? Der Preprint
Cerebral venous thrombosis and portal vein thrombosis: a retrospective cohort study of 537,913 COVID-19 cases
Maxime Taquet, Masud Husain, John R Geddes, Sierra Luciano, Paul J Harrison
erlaubt eine grobe Einschätzung für die Sinusvenenthrombose (cerebral venous thrombosis, CVT) und die ebenfalls gefährliche Pfortaderthrombose (portal vein thrombosis, PCT). Beide treten können erst Wochen nach der Impfung auftreten. Deswegen sollte etwa beim Auftreten von starken Kopfschmerzen schnell ein Arzt aufgesucht werden.
Die erste Version dieses Preprints ging im April 2021 stark durch die Presse da ein Nebenaspekt des Artikels hervorgehoben wurde (Vergleich der Thrombosehäufigkeit durch Vexrevria und BioNTech), der eigentlich gar nicht untersucht worden ist. Inzwischen liegt die dritte Fassung des Preprints vor. Darin liest sich nun:
Sinusvenenthrombose:
  • Nach dem mRNA-Impfstoffen Comirtany von BioNTech/Pfizer und Spikevax von Moderna: „Daten kompatibel mit 0,05 pro 100000“.
  • Nach Vexrevria von AstraZeneca: wird mit etwa 0,5 pro 100000 zitiert.
  • Nach Janssen: wird mit 0,1 pro 100000 Impfungen zitiert.
  • Nach Covid-19-Diagnose: 4,3 pro 100000; in 17% der Fälle tödlich.

Tatsächlich ist die Gefahr einer tödlichen PVT nach einer Covid-19-Diagnose deutlich höher (in 19% der beobachteten Fälle tödlich): 40 pro 100000.

Die Thrombosegefahr scheint höher zu sein, bei einer Vorbelastung durch Herz-Kreislauferkrankungen (und entsprechend niedriger beim Fehlen einer Vorbelastung).

 

21. Mai 2021 – Oliver Rheinbach

Die Coronavariante B.1.617.2 (Delta-Variante) könnte die Durchseuchung der Kinder bedeuten

(Bemerkung: Dieser Blog-Eintrag ist vom 21.5.2021. Unten folgen Nachträge)

Nach der aktuellen deutschen Impfstrategie werden die Kinder als letztes geimpft. Das ist erscheint sinnvoll, weil Kinder ein geringeres Risiko tragen folgenreich an Covid-19 zu erkranken als die Durchschnittsbevölkerung (zur Häufigkeit von Long-Covid bei Kindern ist immer noch wenig bekannt) – und dieses Risiko muss gegen das Risiko möglicher unerwünschter Nebenwirkungen von Impfungen abgewogen werden.

Leider wäre die neu nach Deutschland eingeschleppte Corona-Variante B.1.617.2 ein Game-Changer, wenn sie wirklich noch einmal 50% ansteckender sein sollte als B.1.1.7 (das ja schon ansteckender war, als der Wildtyp). Den wichtigsten Hinweis dazu liefert die aktuelle Karriere von B.1.617.2 in Großbritannien, wo sie innerhalb kurzer Zeit in einigen Regionen B.1.1.7 den Rang abgelaufen hat. Genauere Schätzungen der Basisreproduktionszahl werden wir daher sicher bald aus GB erhalten.

Warum ist die höhere Infektiösität ein Problem? Auch wenn die Impfungen  im Laborexperiment etwas weniger wirksam sein könnten, so weisen die detaillierten Infektionszahlen aus GB daraufhin, dass die dort gebräuchlichen Impfungen (darunter auch AstraZeneca, das ja in Indien stark eingesetzt wird, weil das Serum Institute of India eine Produktionslizenz hat) weiterhin wirksam zu sein scheinen: Die Infektionen steigen nur stark in den ungeimpften Bevölkerungsgruppen. Eine gute Nachricht.

Aber: Nach aktueller Maßgabe der Politik sollen die Schulen in Deutschland (und die Kindergärten) als erste aufmachen und als letzte schließen. Als Argument wird die Bildungsgerechtigkeit genannt (die könnte aber auch durch besseren, zentral organisierten Online-Unterricht hergestellt werden).

Das bedeutet, dass die Schulen bald in den weitgehend normalen Präsenzbetrieb gehen werden (weiterhin weitgehend ohne Luftfilteranlagen), dabei sind die Kinder mit dem Impffortschritt in den anderen Bevölkerungsgruppen bald der für den Erreger empfänglichste Teil der Bevölkerung. Jeder aktuelle Geburtenjahrgang hat in Deutschland etwa 700000 Kinder, d.h. es gibt mehr als 10 Mio Kinder und Jugendliche die noch länger ungeimpft bleiben werden, da es noch keinen zugelassenen Impfstoff gibt (und er auch produziert und geliefert werden muss).

Und das Problem ist, dass es bei einer Basisreproduktionszahl von R0=6, selbst bei einer angenommenen Impfquote von 70 Prozent (und einer angenommenen Wirksamkeit der Impfung von 100%), immer noch zu einer Infektionswelle bei den Nichtgeimpften kommen würde. Das liegt daran, dass sich mit höherer Basisreproduktionszahl die Schwelle der Herdenimmunität immer weiter nach oben verschiebt.

Hier ist die Modellrechnung eines SEIR-Modells (Susceptibles, Exposed, Infected, Removed) mit R0=6, alpha=1/3, gamma = 1/10; beta = R0*gamma. Die angenommene Bevölkerungszahl ist 80 Mio. Bemerkung: Eine  Beschreibung des etwas einfacheren SIR-Modells ist hier zu finden.

Zum Tag 0 sei hier 1/1000stel der Bevölkerung mit der Variante angesteckt, die die erhöhte Basisreproduktionszahl R0=6 hat. 70% der Bevölkerung sei (etwa durch Impfung) am Tag 0 vollständig immun.

Die grüne Linie ist die Anzahl der Geimpften+Genesenen („R“, wobei hier Verstorbene auch als Genesen gelten). Wir sehen, dass es ab Tag 120 zu einer Infektionswelle (rot sind die Infizierten, „I“) kommt und der Anteil der Geimpften+Genesenen (grün) von 70% auf über 90% (genauer gesagt 91.9%) steigt. Das bedeutet, das sich in dieser Welle mehr als 2/3 der Ungeimpften noch infizieren, bevor die Ausbreitung des Virus langsam aufhört. Blau sind übrigens die Ansteckbaren („S“) und magentafarben (kaum sichtbar) sind die Exponierten („E“).

Professor Christian Drosten hat es so ausgedrückt:

„[Wer sich] dagegen entscheidet, sich impfen zu lassen, der wird sich [früher oder später] unweigerlich infizieren.“.
Siehe etwa hier bei NTV.de.

Deswegen wäre es wichtig gewesen, B.1.617.2 außer Landes zu halten – oder zumindest diese Variante entschieden einzudämmen. Wahrscheinlich ist der Zug allerdings abgefahren, denn mit aktuell geschätzten 2% der Ansteckungen in Deutschland (RKI-Bericht zu Virusvarianten vom 19.5.2021) wird die Variante B.1.617.2 in Deutschland wahrscheinlich einen ebensolchen Siegeszug erleben, wie B.1.1.7 im ersten Halbjahr 2021. Inzwischen sind etwa 90% der Proben in Deutschland B.1.1.7. Zur Erinnerung: Das erste Auftreten von B.1.1.7 in Deutschland war etwa zum Jahreswechsel 2020/2021.

RKI: Bericht zu Virusvarianten von SARS-CoV-2 in Deutschland (19.5.2021)
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/DESH/Bericht_VOC_2021-05-19.pdf?__blob=publicationFile

Ich darf hier nochmal darauf hinweisen, dass die dritte Welle in Deutschland (verursacht durch die höhere Infektiösität von B.1.1.7) aufgrund von ebensolchen Rechnungen wie oben vorhergesagt wurde. Die Welle wurde dann durch Lockerungen noch verstärkt, und (leider) wurde ein weiterer, teurer Lockdown nötig.

Es zeigt sich, dass der Ansatz der westlichen Industrieländer (keine entschiedene Eindämmung, sondern nur Dämpfung der Ausbreitung auf R nahe 1 und Warten auf die Impfung; keine entschiedene Kontrolle der Grenzen, um den Eintrag neuer Virusvarianten zu verhindern) eine riskante Strategie bleibt, die letztlich teurer sein könnte, als eine entschiedene Eindämmung im Geiste von No-Covid (oder nach dem Vorbild asiatischer Länder).

Nachtrag: Das oben Beschriebene ist ein Szenario (!), aus dem die Politik Maßnahmen ableiten könnte (etwa Maßnahmen an Schulen, vorgezogene Impfkampagnen von Kindern, schnellere Beschaffung von Impfstoffen für Kinder, etc.). Da die Impfungen in Wirklichkeit keine Wirksamkeit von 100% haben, wird die o.g. Welle unter den Ungeimpften auch auftreten, wenn die Impfquote etwas höher als 70% ist. Natürlich können Ungeimpfte in den privaten Lockdown gehen. Die meisten Kinder sind allerdings schulpflichtig.

Die Politik oder die Gesellschaft könnte sich auch dazu entscheiden zu akzeptieren, dass 2/3 der Kinder sich infizieren.

Und falls B.1.617.2 nicht ansteckender sein sollte als B.1.1.7, sind wir sowieso in „good shape“, d.h. zumindest die oben beschriebene Welle fällt dann aus. Leider ist das inzwischen unwahrscheinlich.

Nachtrag (21.05.2021): Die Bundesregierung hat heute GB als Virusvariantengebiet eingestuft, wodurch starke Reisebeschränkungen gelten (siehe etwa hier und hier).

Nachtrag: Wer etwas über die mRNA-Impfstoffe erfahren will, kann diese phantastischen Artikel lesen, auf die ich erst jetzt aufmerksam geworden bin. Verständlich mit (ungefähr) Biologiewissen Gymnasium Oberstufe, aber mit genug Detail und Verweisen, sich tiefer damit zu beschäftigen:

Reverse Engineering the source code of the BioNTech/Pfizer SARS-CoV-2 Vaccine

Reverse Engineering Source Code of the Biontech Pfizer Vaccine: Part 2

Why Two Vaccines Passed the Finishing Line In a Year and Others Didn’t, and a Month 12 Roundup

The CureVac Vaccine, and a brief tour through some of the wonders of nature

Assemblies-of-putative-SARS-CoV2-spike-encoding-mRNA-sequences-for-vaccines-BNT-162b2-and-mRNA-1273

Wer sich für die Sicherheit der Coronaimpfkampagne in Deutschland interessiert, möchte vielleicht die Sicherheitsberichte des PEI lesen.

Nachtrag (24.05.2021): Der Bundesgesundheitsminister rief gestern dazu auf, BioNTech-Dosen (aktuell ab 16 Jahre zugelassen) für Schüler zu reservieren.

Nachtrag (31.5.2021): Nach der Zulassung von BioNTech/Pfizer für Jugendliche möchte die Bundesregierung die Impfung der Jugendlichen offenbar vorantreiben. Allerdings möchte die StiKo die Impfung für Jugendliche noch nicht empfehlen, sondern sie möchte mehr Daten abwarten, da die Risikoabwägung für Kinder schwieriger ist als für Erwachsene. Solche Daten werden allerdings wahrscheinlich bald aus den Ländern zur Verfügung stehen, die die Impfung der Jugendlichen bereits betreiben.

Nachtrag (31.5.2021): Wegen des exponentiellen Wachstums von B.1.617.2 in GB sieht ein Experte Großbritannien vor dritter Welle (Meldung von NTV vom ).

Nachtrag (1.6.2021): Nach Medienberichten, macht B.1.617.2 inzwischen 3/4 der Neuinfektionen in Großbritannien aus (erste Impfung 56 Prozent der Bevölkerung), ist also deutlich erfolgreicher als B.1.1.7.  Der Guardian berichtet von einer geschätzten SAR (Secondary Attack Rate) von 13.5% (+/- 1.0%) bei B.1.617.2 im Vergleich zu 8.1% (+/- 0.2%) bei B.1.1.7. In Deutschland (erste Impfung ca. 42 Prozent der Bevölkerung) scheinen die Anteile von B.1.617.2 noch einigermaßen stabil bei 2 bis 3 Prozent zu liegen.

In Australien berichtet Medien, dass man Corona-Ansteckungen schon bei „flüchtigem Kontakt“ (fleeting contact, stranger-to-stranger transmission) beobachtet wurden.

Nachtrag (11.6.2021): Die zuerst in Indien entdeckte Variante B.1.617.2 heisst nun Delta-Variante und ist deutlich ansteckender als B.1.1.7, welche nun Alpha heisst, hier die Daten von Public Health England. Die Studie betrachtet Ansteckungen im Haushalt.

„This study found a 64% increase in the odds of household transmission associated with infection with B.1.617.2 SARS-CoV-2 variant compared to B.1.1.7, following adjustmentfor the index cases’ vaccination status, as well as sex, ethnicity, IMD and age group.“ (Direkter Link zum Dokument)

Daher lässt die Studie noch keine direkten Rückschlüsse auf den R-Wert von Delta im Vergleich zu Alpha zu. Allerdings dominiert die Delta-Variante die Neuansteckungen in England inzwischen deutlich. Dem schon oben verlinkten Dokument kann man entnehmen (Link zur Referenz 2 eingefügt):

„By the end of May 2021, B.1.617.2 had become the dominant SARS-CoV-2 virus in England, accounting for over 90% of all new cases (2).“ (Direkter Link zum Dokument, Seite 7)

und (Links zu Referenz 2 und Referenz 4 eingefügt)

„Surveillance and modelling data suggest B.1.617.2 has quickly become the dominant variant in England. In England, the B.1.617.2 variant has by far highest growth rate, reflecting both the biological properties of this variant and the context in which it is transmitting (2, 4). The observed rapid spread of this variant in England and internationally necessitate investigation into the transmissibility advantage of this variant compared to the previously dominant variant, B.1.1.7, to assess its potential impact on the incidence in England.“ (Direkter Link zum Dokument)

Nachtrag (11.6.2021): Inzwischen ist die Diskussion, dass die durch die Delta-Variant zu erwartende vierte Welle im Herbst vor allem Kinder betreffen könnte, in den Medien angekommen:

Im Herbst könnte eine vierte Corona-Welle vor allem Kinder und Jugendliche treffen, da sie als Letzte geimpft werden. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie gefährlich Covid-19 für sie ist. Wie hoch ist ihr Risiko, schwer zu erkranken, wie wahrscheinlich sind langfristige Beeinträchtigungen? (NTV – Impfung oder Ansteckung – Wie gefährlich ist Covid für Kinder?)

Nachtrag: (17.6.2021): Inzwischen hat die Delta-Variante in Deutschland etwa 6 Prozent erreicht, GB hat durch Delta deutlich steigende Zahlen. Das hier beschriebene Szenario (Delta-Ausbreitung in den Schulen im Herbst) wird inzwischen auch in den Medien diskutiert. Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI), Carsten Watzl wird bei NTV zitiert:

„Wenn man die Infektion nicht einfach unter den Schulkindern durchlaufen lassen will, muss man sich spätestens jetzt an Konzepte wie Luftfilter machen, um nicht im Herbst wieder die Schulen zumachen zu müssen“, mahnte Watzl. (NTV – Experten mahnen: Auf Delta-Welle vorbereiten)

Nachtrag (18.6.2021): In einem Interview gibt Dr. Jana Schroeder den R-Wert von Delta mit „5 bis 8“ an und sagt

„Die Welle mit der Delta-Variante ist bereits quasi gebucht, auch für Deutschland.“ (NTV)

und weiter

„Für Schulen besonders wichtig ist eine niedrige Inzidenz. Denn wenn die Inzidenz niedrig ist, sind auch Ausbrüche an Schulen seltener. Zudem bedarf es mindestens einer uneingeschränkten Maskenpflicht nach Urlaubsrückkehr und, je nach Infektionsgeschehen, auch einer längeren Maskenpflicht. Luftdeckenfilter müssen flächendeckend installiert werden. In den Schulen haben wir eine Hochrisikosituation: viele Menschen in einem Raum. Und die kann durch technische Lösungen entschärft werden. Dann sollte die Testpflicht beibehalten und möglichst auch auf eine Pool-PCR-Testung umgestellt werden. Die Antigen-Schnelltests übersehen doch einen relevanten Teil der Infizierten.“ (NTV)

Nachtrag (22.6.2021): NTV meldet, basierend auf Zahlen einer Laborgemeinschaft, einen Delta-Anteil von 25 Prozent in den Daten der Laborgemeinschaft für Münchener Raum. Zum Anstieg gibt es nur zwei Datenpunkte:
8.6.2021 bis 13.6.2021: 11,2 Prozent Delta (81,6 Prozent Alpha; 6,3 Prozent Wildtyp; 0,9 Prozent Gamma)
14.6.2021 bis 20.6.2021: 24,6 Prozent Delta (58,7 Prozent Alpha; 15,9 Prozent Wildtyp; 0,8 Prozent Beta)
– Daraus, dass auch der Anteil des (weniger ansteckenden) Wildtyps von 6 Prozent auf 16 Prozent gestiegen ist, könnte man allerdings schließen, dass die Daten vergleichsweise verrauscht sind.

Nachtrag (23.6.2021): Etwa einen Monat nach diesem Blog-Eintrag bewahrheiten sich die Prognose: Die aktuellen Maßnahmen und das Verhalten der Bürger reicht aus, die Infektionszahlen durch B.1.1.7 (Alpha) zu senken. Gleichzeitig wächst leider die Anzahl der B.1.617.2-Variante (Delta), da die Variante noch ansteckender ist.

Die neuen Zahlen des RKI lauten nun:
KW21/2021 (Woche vom 24 Mai): 4 Prozent
KW22/2021 (Woche vom 31.Mai): 8 Prozent
KW23/2021 (Woche vom 5. Juni): 15 Prozent
Die die Infektionszahlen insgesamt noch zurückgehen, ist das weniger als Verdopplung jede Woche. Damit geht das Infektionsgeschehen dennoch (und mit Ansage) in Deutschland den gleichen Weg wie in GB. Deutschland wird in Kürze (wieder) vor der Entscheidung stehen: Infektionen laufen lassen oder Lockdown. Die Impfungen, jedenfalls, gehen aktuell nicht schnell genug, zumal die erste Impfstoff-Dosis gegen Delta wenig auszurichten vermag. Aktuelle Impfzahlen: Geimpfte Personen 51,6%, vollständig geimpft 32,4%.

Nachtrag (7.7.21): Inzwischen ist Delta in Deutschland die dominante Variante und hat allen anderen Varianten den Rang abgelaufen; siehe auch hier.

Nachtrag (7.7.21): Mithilfe von Simulationen mit einem (leicht verfeinerten) SEIR-Modell (mit 16 Altersgruppen) kommt das RKI zum Schluss, dass durch Delta nun eine Impfquote von mindestens 85% erreicht werden muss, um eine Delta-Welle im Herbst und Winter zu verhindern (Abb. 1 und Abb. 2 im Epidemiologisches Bulletin 27/2021 RKI mit dem Titel: „Welche Impfquote ist notwendig, um COVID-19 zu kontrollieren?„).

Nachtrag (25.8.21): Ein Artikel in der Zeit von Linda Tutmann fasst die Lage der Kinder im Herbst zusammen: „Wer eine ‚Pandemie der Ungeimpften‘ verkündet, dem sind die Kinder unter zwölf Jahren ganz offensichtlich gleichgültig. Sie werden der Durchseuchung überlassen.“ An meiner Befürchtung, dass die durch die Delta-Variante (B.1.617.2) verursachte Delta-Wenne (die bereits begonnenen hat) im Herbst die Durchseuchung der Kinder bringen könnte, hat sich nichts geändert. Die Schulen laufen im Normalbetrieb, weiterhin ohne Luftfilter, immerhin (noch) mit (beschwerlichen Alltags-)Masken.

Nachtrag (29.8.21): Berlin schafft die Kontaktverfolgung in Schulen und Kindergärten ab („Das ist eine Erleichterung für die Schulen […] aber auch eine Erleichterung für die Eltern […]“; Bildungssenatorin des Landes Berlin nach NTV-Corona-Live-Ticker.) Darüber berichten inzwischen viele Medien. Die Begründung der Berliner Amtsärzte wird meist nicht im Detail kommuniziert. Daher hier ein Auszug:

"Die vorherrschende Virusvariante vom sog. Deltatyp ist so ansteckend, dass mit einer sicheren Ansteckung der ungeimpften Kinder zwingend zu rechnen ist. Unter Berücksichtigung der im Regelfall ausbleibenden oder allenfalls milden Symptomatik bei Kindern und der für die Bevölkerung nicht als bedeutsam einzuschätzenden Infektiosität der Kinder, die ebenfalls vielfältig belegt ist, werden die Berliner GÄ zukünftig Kinder, die einen positiven Covid -19 Nachweis haben in Isolation schicken, nicht mehr ihre Kontaktpersonen außerhalb der haushalts- und haushaltsähnlichen Kontakte. Das gesamtgesellschaftliche Ziel, der Schutz der vulnerablen Gruppen und eine Vermeidung der Überlastung des Gesundheitssystems werden dadurch, wie bewiesen, nicht beeinflusst."

(Hervorhebung nicht im Orginal.)
Quelle: "Vorgabe der Berliner Amtsärzte (Votum 12 von 12) zum Umgang mit positiv getesteten Personen und Kontaktpersonen im Setting Schule und Kita"
Stand 25.08.2021
https://www.tagesspiegel.de/downloads/27558300/2/amtsaerzte.pdf

Zur Erinnerung. Kinder unter 12 Jahren können aktuell nicht gegen Covid19 geimpft werden – und es besteht Schulpflicht auch für Kinder mit Risikofaktoren.

Das Vorgehen widerspricht klar der S3-Leitlinie „Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen – Lebende Leitlinie„, Kapitel 7 Umgang mit Kontaktpersonen in Schulen.
https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/027-076.html

Einzuwenden ebenfalls:
a) Kinder haben nicht immer eine „ausbleibende oder milde Symptomatik“. Eine komplette Durchseuchung der ca. 500000 Kinder von 0 bis 12 Jahre in Berlin kann z.B. einige hundert Fälle des  PIMS-Syndrom bedeuten. (Einige Arbeiten schätzen die Häufigkeit von PIMS auf etwa 1:3000). Etwa 1 Prozent der Kinder müssen nach einer SARS-CoV-2-Infektion ins Krankenhaus; siehe hier.
b) Kinder sind auch für Erwachsene infektiös, auch wenn gerne etwas anderes behauptet wird. („Kinder sind keine Treiber der Pandemie“ ist vor allem eine politische Formel, die gar nicht genau definiert werden kann.)
c) Alle Daten gelten für die bisherigen Varianten von SARS-CoV-2.  Die inzwischen in Deutschland vorherrschende Delta-Variante ist aber deutlich infektiöser (R-Wert 8 oder mehr statt einem R von 2 bis 3) und gefährlicher (doppelt so viele Hospitalisierungen bei Erwachsenen).

Die Studie zu Impfung von Kindern von Biontech/Pfizer und die Kidcove Studie von Moderna laufen seit März 2021. Die Daten der Biontech-Studie für die ältere Kindergruppe (5 Jahre bis 11 Jahre) sollten ursprünglich im September vorliegen. Verzögerungen könnten sich ergeben, da die Rekrutierung auf Wunsch der US-Behörden nachträglich erhöht wurden, um seltene Nebenwirkungen (etwa die Myocarditis) besser zu erfassen.

Wenn Berlin sich beeilt, nehmen die Amtsärzte den Eltern die Entscheidung zwischen „Immunität durch Infektion“ und „Immunität durch Impfung“ ab. Es wird dann wohl die Infektion.

Nachtrag 30.08.2021: Der WDR berichtet online: „Die Durchseuchung der Kinder hat begonnen.“ In NRW haben die Altergruppen 5 bis 9 Jahre, 10 bis 14 Jahre und 15 bis 19 Jahre die höchsten Inzidenzen, nämlich 328, 385 und 294. Die Menschen 24 und 45 Jahre liegen etwa bei der Hälfte. Die Senioren liegen zwischen 20 und 40. Da Delta so ansteckend ist, können Kinder und Jugendliche das Virus nachgelagert auch in der Bevölkerung weiter verbreiten:

„[…] Somit können eben auch Kinder und Jugendliche das Virus weiter im Familien- und Freundeskreis verbreiten, auch wenn sie selbst selten erkranken und wenn doch, dann in der Regel nicht schwer. Das sagt auch die Kinder- und Jugendmedizinerin Folke Brinkmann, Oberärztin an der Universitätskinderklinik Bochum.

Kinder und Jugendliche hätten ein etwa einprozentiges Risiko, schwer an Covid zu erkranken. Förster gibt allerdings zu bedenken: ‚Über Long-Covid bei Kindern weiß man noch sehr wenig, so dass nach wie vor Vorsicht geboten ist.‘ […]“

Nachtrag 31.8.2021: Nach Berlin möchte die nächste Großstadt, Köln, die Kontaktverfolgung an Schulen einstellen und nur noch positiv Getestete Kinder und Jugendliche isolieren.

Ein Dokument der CDC zeigt derweil, wie schnell sich Delta in einer Grundschule (elementary school; 0. bis 8. Klasse) in Kalifornien verbreitet hat. Ein Grundschullehrer steckt fast die gesamten ersten zwei Reihen seiner Klasse mit Delta an (die USA haben Einzeltische für die Schüler im Abstand von 2 Metern), sowie ein Kind in der dritten Reihe, eins in der vierten Reihe und zwei in der fünften Reihe. Letztlich hat der Lehrer seine halbe Klasse angesteckt:

„The attack rate in one affected classroom was 50%; risk correlated with seating proximity to the teacher.“

Trotz offenem Fenster, offener Tür und einem mobilen Luftfilter in der Nähe der Tafel. Allerdings trug der Lehrer (zeitweise) keine Maske. Die Kinder trugen Masken – wahrscheinlich aber solche, die nicht vor Aerosolen schützen, also nur Alltags- oder OP-Masken. Weitere Kinder aus anderen Klassen steckten sich ebenfalls an – wahrscheinlich bei den anderen Kindern („[…] thought to be interaction at the school“)

Zeitskala: Lehre bekam Symptome am 19. Mai 2021, er unterrichtet dennoch noch 2 Tage bis zum 21. Mai 2021. Die ersten Schüler bekamen am 22. Mai Symptome.

Der Lehrer war ungeimpft – aber auch Geimpfte sind, wenn sie sich mit SARS-CoV-2 infizieren, leider in den ersten Tagen genauso infektiös wie Ungeimpfte. Infektionen trotz Impfung („Durchbruchsinfektionen“) werden wir mit Delta im kommenden halben Jahr noch sehr häufig sehen; die Wahrscheinlichkeit für eine Durchbruchsinfektion liegt, je nach Alter (jünger ist besser), Impfstoff (mRNA ist besser), Zeitpunkt der Impfung (kürzlich ist besser) und Impfintervall (länger ist besser) bei geschätzten 10 bis 20 Prozent. Bei Senioren auch mehr. Wenn die israelischen Daten übertragbar sind, könnten es auch 35 Prozent sein.

In ihrer „Discussion“ schreiben die CDC-Autoren

„The outbreak’s attack rate highlights the Delta variant’s increased transmissibility and potential for rapid spread, especially in unvaccinated populations such as schoolchildren too young for vaccination.“

Deutsche Medien berichteten ebenfalls über den Ausbruch an der Grundschule, z.B. Spiegel und NTV.

Nachtrag 31.08.2021: Israel meldet für BioNTech/Pfizer nur noch eine Wirksamkeit von nur noch 39 Prozent gegen eine symptomatische Infektion mit Delta. Der Schutz vor schweren Verläufen bleibt hoch (88 Prozent). Allerdings gibt es noch keinen wissenschaftlichen Artikel zu diesen Zahlen (oder auch nur einen Preprint). Die Daten könnten verzerrt sein. Daten anderer Länder zeigen bislang keinen so starken Abfall der Wirksamkeit. Aber die Konsequenz wäre, dass auch viele Geimpfte andere Menschen infizieren könnten. Ein Verzicht auf Tests bei Geimpften wäre dann fahrlässig. Daher muss die Wirksamkeit weiter genau beobachtet werden.

Nachtrag 15.9.2021: In einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) (gemeinsam mit der DGKH) geht man davon aus, dass

„Insgesamt ist damit zu rechnen, dass sich in den nächsten Monaten ein erheblicher Anteil aller Kinder und Jugendlichen mit der Delta-Variante des SARS-CoV-2 infiziert (oder mit dieser in Kontakt kommt).“

Die Risikoeinschätzung stellt im Wesentlichen auf die Hospitalisierung (1 Prozent) und Sterblichkeit ab:

„Weniger als eines von 100 Kindern mit einer SARS-CoV-2 Infektion muss ins Krankenhaus aufgenommen werden, 5% aller im Krankenhaus behandelten Kinder mit SARS-CoV-2 Nachweis benötigen eine Intensivtherapie und 3 bis 4 von 1000 dieser stationär behandelten Kinder versterben mit oder an COVID 19.“

Das Risiko für PIMS und Long Covid wird nicht gesehen:

„Das Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) und Long-COVID sind bei Kindern unter 12 Jahre so selten, dass sie nicht als Argument für schwerwiegende und schädliche Eingriffe in den Alltag der Kinder herhalten können.“

Sogar von systematischen Testen an Schulen wird abgeraten.

Andererseits wird doch zu Long Covid bei Kindern (allerdings erst auf Seite 13) ausgeführt:

„In einer Kohorte von 4678 Kindern, die in Schottland und Wales am VirusWatch Projekt teilgenommen haben (prospektive haushaltsbezogene Kohortenstudie) lag die Rate von Kindern mit Symptomen über 4 Wochen nach der Diagnose bei 4,6 %. Häufiger waren Mädchen, Teenager und Kinder mit vorbestehender Grunderkrankung betroffen.“

Nachtrag 3.2.2022: Schon in der Deltawelle waren die Kinder zum Teil am stärksten betroffen. Aktuell sehen wir eine Durchseuchung der Kinder durch Omikron: „Das Fallaufkommen zieht dem Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) zufolge weiter stark an. Demnach bleiben in der Omikron-Welle Kinder bis 14 Jahren am stärksten vom Infektionsgeschehen betroffen. In ihrer Altersgruppe schießt die Wochen-Inzidenz in der vierten Kalenderwoche auf 2591,68. Ebenfalls stark betroffen sind Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 34 Jahren. Bei ihnen steigt die Wochen-Inzidenz auf 1696,26.“ (NTV)

Die offizielle bundesweite 7-Tage-Inzidenz ist 1283 (von 100000).

Nachtrag 3.2.2022: Moderna hatte schon zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 öffentlich gemacht, dass es für die Dauer der Pandemie die Eigentumsrechte an seinem Impfstoff nicht durchsetzen werde. Jetzt nutzt das erste Unternehmen diese Möglichkeit: „In Südafrika will das Biotechunternehmen Afrigen Biologics erstmals einen eigenen Covid-19-Impfstoff für den afrikanischen Kontinent herstellen. Die Firma aus Kapstadt will dafür die öffentlich zugängliche Sequenz des mRNA-Vakzins von Moderna verwenden, um eine eigene Version des Impfstoffs zu entwickeln. Diese könnte noch in diesem Jahr am Menschen getestet werden, erklären leitende Angestellte von Afrigen.“ (NTV)

Hier das damalige Statement von Moderna von 2020: „We feel a special obligation under the current circumstances to use our resources to bring this pandemic to an end as quickly as possible. Accordingly, while the pandemic continues, Moderna will not enforce our COVID-19 related patents against those making vaccines intended to combat the pandemic. Further, to eliminate any perceived IP barriers to vaccine development during the pandemic period, upon request we are also willing to license our intellectual property for COVID-19 vaccines to others for the post pandemic period.

Seltsamerweise hat dieses Statement in der Diskussion um die Freigabe von Impfstoffpatenten in den deutschen Medien nie eine Rolle gespielt.

17. Mai 2021 – Oliver Rheinbach

B.1.617.2 ist das neue B.1.1.7 – noch ansteckender

202, 520, 793 – das ist die wöchentlichen Fälle von B.1.617.2 in Großbritannien Anfang Mai 2021, in einem Umfeld, in dem der B.1.1.7-Typ (ohne den es Deutschland keine dritte Welle und den zugehörigen Lockdown gegeben hätte) in GB ein R nahe 1 hat (siehe auch Sage-Protokoll unten).

B.1.617.2 ist die Corona-Variante, die zumindest zum Teil für die Ansteckungswelle in Indien verantwortlich ist.

Es sind wenig Datenpunkte, aber leider sieht es wieder genauso aus wie die Daten vom Dezember 2020, als GB Europa (und die Welt) vor B.1.1.7 warnte. Man sieht exponentielles Wachstum der Variante unter Lockdownbedingungen, die ausreichten, um die alte Variante einzudämmen.

Das Sage-Protokoll vom 13.5.2021 erwähnt dann auch eine um 50% erhöhte Übertragbarkeit von B1.617.2 zu B.1.1.7 als Möglichkeit. Diese Schätzung basieren auf Parameteridentifikationsrechnungen; falls ich die Quellen finde, werde ich sie noch hier verlinken.

Das bedeutet insgesamt aber, dass es nun noch teurer werden wird (in Geld und in Freiheit), die neue Variante einzudämmen – denn die Impfungen (ein Immun-Escape von B.1.617.2 ist unklar, aber die aktuellen Impfstoffe scheinen nicht vollkommen unwirksam zu werden) kommen nicht einmal in Großbritannien schnell genug voran, um eine B.1.617.2-Welle allein durch Impfungen zu verhindern.

Daher zieht GB nun für die Risikogruppen die zweite Impfdosis vor, um zumindest ihnen maximalen Schutz zu geben, obwohl das die Impfung aller anderen verlangsamen wird. Und obwohl die Schutzwirkung mit eigentlich mit längerem Impfintervall größer wird. Das zeigt, dass man in GB Zeitdruck sieht:

Appointments for a second dose of a vaccine will be brought forward from 12 to 8 weeks for the remaining people in the top nine priority groups who have yet to receive their second dose. This is to ensure people across the UK have the strongest possible protection from the virus at an earlier opportunity.The move follows updated advice from the independent experts at the Joint Committee on Vaccination and Immunisation (JCVI), which has considered the latest available evidence on the variant and has recommended reducing the dosing interval to help protect the nation from the variant [B.1.617.2]. (NHS Publication Reference C1290)

Um es klar zu sagen: Das ist deprimierend.

Anfang 2020 (vielleicht auch Ende 2019) wurde das Corona-Virus SARS-CoV-2 nach Europa eingeschleppt (in der Ursprungsvariante, die nun „Wildtype“ heißt), es gab zwar einen, noch ganz neuen, PCR-basierten Test, aber kaum Testkapazität. Es gab kaum Schutzmaterialien, sogar in den Krankenhäusern. Es ist verständlich, dass eine unkontrollierte Ausbreitung in Form der ersten Welle passieren konnte. Auch, wenn (sogar) die WHO inzwischen sagt, dass die Pandemie durch schnellere und entschiedenere Reaktion hätte verhindert werden können.

Ende 2020 oder Anfang 2021 wird die ansteckendere Variante B.1.1.7 nach Kontinentaleuropa eingeschleppt, mit deutlicher Vorwarnung. Die neue Variante ist dann verantwortlich für die dritte Welle in Deutschland (und den zugehörigen, teuren Lockdown), die es in dieser Form ohne B.1.1.7 nicht gegeben hätte.

Mehr als ein Jahr nach der Pandemie gelingt nun der neuen, möglicherweise noch ansteckenderen Variante B.1.617.2 die Reise um die halbe Welt nach Europa und inzwischen auch in die EU – so, als ob es das erste Mal wäre.

 

 

PS: In vielen Medien wird (auch nach der Initiative von Joe Biden) diskutiert, wie durch Aussetzung von Patenten, die weltweite Corona-Impfkampagne beschleunigt werden könnte, etwa hier:

„Indiens Serum Institute of India ist der weltweit größte Impfstoffhersteller und könnte in relativ kurzer Zeit einen eigenen Impfstoff auf mRNA-Basis herstellen.“ (Welt, Marcel Fratzscher)

Nur: Das Serum-Institute of India hat schon längst eine Lizenz für einen sehr wirksamen Corona-Impfstoff, nämlich AstraZeneca.

Es ist inzwischen vergessen, aber AstraZeneca war der Impfstoff, auf den sowohl die EU als auch die USA bei ihren ersten Bestellungen 2020 massiv gesetzt hatten: Die USA orderten bereits im Mai 2020 (!) 300 Mio Dosen, mehr als von allen anderen Impfstoffen. Die EU orderte im August ebenfals 300 Mio Dosen. Deutlich vor der Bestellung von BioNTech/Pfizer, die erst im November (!) 2020 von der EU angekündigt wurde. In der Realität besteht die Impfkampagne in den USA und der EU von Ende 2020 bis Mitte 2021 dann vor allem aus BioNTech/Pfizer und Moderna – weil sie früh und verlässlich liefern, anders als AstraZeneca.

Im Februar bedauerte der CEO dann per Twitter, dass das Serum Institute der Welt wenig liefere, denn

“[The Serum-Institute of India] has been directed to prioritise the huge needs of India and along with that balance the needs of the rest of the world,”

Der AstraZeneca-Impfstoff ist deutlich einfacher zu produzieren, zu lagern und zu verteilen als mRNA-Impfstoffe, er war 2020 vorgesehen als der Welt-Impfstoff überhaupt. Übrigens soll das Serum-Institute auch eine Milliarde Dosen des proteinbasierten Impfstoffes von Novavax herstellen.

Ach ja: Moderna, der zweite mRNA-Impfstoff, der in der EU (und den USA) massiv eingesetzt wird, hat schon im Oktober 2020 erklärt, dass es in der Pandemie auf die Durchsetzung seiner Patentrechte verzichten wird:

„Accordingly, while the pandemic continues, Moderna will not enforce our COVID-19 related patents against those making vaccines intended to combat the pandemic. Further, to eliminate any perceived IP barriers to vaccine development during the pandemic period, upon request we are also willing to license our intellectual property for COVID-19 vaccines to others for the post pandemic period.“

Bislang hat kein Generika-Hersteller die Produktion des Moderna-Impfstoffes angekündigt.

PPS: Die Unversität von Helsinki hat sogar einen Open-Source Corona-Impfstoff entwickelt, d.h. sie verzichtete von Anfang an auf jegliche Rechte. Es fehlen aber die Zulassungsstudien, die einen zweistelligen Millionenbetrag kosten. Deutlich zuviel für eine Universität.

04. März 2021 – Oliver Rheinbach

Nun trägt jeder Bürger die Verantwortung für die lokale Wirtschaft.

Die Bund-Länder-Beschlüsse von heute kann man wie folgt zusammenfassen: Je niedriger die (Melde-)Inzidenz, desto normaler das Leben. Je höher die Inzidenz, desto mehr Lockdown kehrt zurück.

Das heisst, wer die lokale Innenstadt retten will, muss mithelfen, die Inzidenz niedrig zu halten.

Die Zahl des Tages ist 100. Liegt in einem Landkreis drei Tage lang die 7-Tage-Inzidenz über 100, kommt der Lockdown zurück.

Die Beschlüsse zeigen auch eins sehr deutlich: Die Politik wird nicht von Virologen bestimmt. Die Zahl 100 ist nicht wissenschaftlich begründet. Sie wurde gewählt, weil die meisten Landkreise aktuell zwischen 50 und 100 liegen, also noch ein bisschen Luft zur 100 ist.

Inzwischen sind fast 50 Prozent der Ansteckungen durch die Corona-Variante B.1.1.7 verursacht, von der man inzwischen sehr genau weiß, dass sie schwer einzudämmen ist. Nicht mal der Lockdown vom Januar und Februar in Deutschland reichte, um B.1.1.7 von der Ausbreitung abzuhalten. Es ist klar, dass B.1.1.7 in Kürze große Teile Deutschlands zurück in den Lockdown bringen wird (die „Notbremse“ bei Inzidenz > 100; man beachte dabei: seit Herbst 2020 werden nur noch symptomatische Fälle getestet). Das Risiko, dass die dritte Welle viele Opfer fordert, wird von der Politik eingegangen.

Deswegen sind die Beschlüsse auch eine Kapitulation vor dem Druck der Wirtschaft und aus der Bevölkerung. Der Wunsch nach Normalität ist verständlich. Wir haben uns offenbar an die Lage gewöhnt: Aktuell liegen 3000 Corona-Infizierte auf den Intensivstationen. Davon werden 1000 in den nächsten Wochen sterben. Mehr als 300 Menschen pro Tag starben in den letzten 2 Wochen. Die Langzeitschäden werden noch gar nicht systematisch erfasst.

Andererseits sind die Beschlüsse auch ein Aufbruch zu mehr Eigenverantwortung des Bürgers (endlich Selbsttests!), mehr Testen (mindestens ein Schnelltest pro Woche in Schulen, Kindergärten, …, leider nicht in Firmen) und mehr Digitalisierung, vielleicht Luftfilter (wahrscheinlich den Kommunen weiterhin zu teuer). Wenn das alles kommt, kommt es reichlich spät (und ist immer noch zu wenig), aber immerhin.

Ob es reichen wird, eine starke dritte Welle zu vermeiden kann aktuell niemand wissen. Die große Unsicherheit ist das Verhalten der Menschen. Wie diszipliniert werden die Deutschen sein?

Wenn ich mich aktuell umschaue, dann habe große Zweifel an der Disziplin der Deutschen. Im (!) Supermarkt sehe ich Menschen mit Maske unter dem Kinn einkaufen. Und noch mehr Menschen mit Maske unter der Nase. In geschlossenen Räumen ist das rücksichtslos gegenüber anderen Kunden, aber besonders gegenüber den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Und nun – mittelbar – auch rücksichtslos gegenüber der lokalen Wirtschaft.

Nachtrag (06.03.2021): Die ersten Lieferungen von Selbst-Schnelltests in Discountern und Drogerien sind heute innerhalb kürzester Zeit ausverkauft gewesen. Das zeigt, wie kurzsichtig es war, dass man dieses Mittel bisher, aus Rücksicht auf Partikularinteressen, nicht genutzt hat. Die Bereitschaft, sich selbst zu testen, scheint sehr groß zu sein. Die Selbst-Schnelltests hätten, auch in Deutschland, schon seit einem halbem Jahr zur Verfügung stehen können. – Und offenbar reichen die vom Bund gesicherten Mengen für die Schulen und Kindergärten nur für einen Test pro Woche, statt (was sicherer wäre) zwei Tests pro Woche.)