(Bemerkung: Dieser Blog-Eintrag ist vom 21.5.2021. Unten folgen Nachträge)
Nach der aktuellen deutschen Impfstrategie werden die Kinder als letztes geimpft. Das ist erscheint sinnvoll, weil Kinder ein geringeres Risiko tragen folgenreich an Covid-19 zu erkranken als die Durchschnittsbevölkerung (zur Häufigkeit von Long-Covid bei Kindern ist immer noch wenig bekannt) – und dieses Risiko muss gegen das Risiko möglicher unerwünschter Nebenwirkungen von Impfungen abgewogen werden.
Leider wäre die neu nach Deutschland eingeschleppte Corona-Variante B.1.617.2 ein Game-Changer, wenn sie wirklich noch einmal 50% ansteckender sein sollte als B.1.1.7 (das ja schon ansteckender war, als der Wildtyp). Den wichtigsten Hinweis dazu liefert die aktuelle Karriere von B.1.617.2 in Großbritannien, wo sie innerhalb kurzer Zeit in einigen Regionen B.1.1.7 den Rang abgelaufen hat. Genauere Schätzungen der Basisreproduktionszahl werden wir daher sicher bald aus GB erhalten.
Warum ist die höhere Infektiösität ein Problem? Auch wenn die Impfungen im Laborexperiment etwas weniger wirksam sein könnten, so weisen die detaillierten Infektionszahlen aus GB daraufhin, dass die dort gebräuchlichen Impfungen (darunter auch AstraZeneca, das ja in Indien stark eingesetzt wird, weil das Serum Institute of India eine Produktionslizenz hat) weiterhin wirksam zu sein scheinen: Die Infektionen steigen nur stark in den ungeimpften Bevölkerungsgruppen. Eine gute Nachricht.
Aber: Nach aktueller Maßgabe der Politik sollen die Schulen in Deutschland (und die Kindergärten) als erste aufmachen und als letzte schließen. Als Argument wird die Bildungsgerechtigkeit genannt (die könnte aber auch durch besseren, zentral organisierten Online-Unterricht hergestellt werden).
Das bedeutet, dass die Schulen bald in den weitgehend normalen Präsenzbetrieb gehen werden (weiterhin weitgehend ohne Luftfilteranlagen), dabei sind die Kinder mit dem Impffortschritt in den anderen Bevölkerungsgruppen bald der für den Erreger empfänglichste Teil der Bevölkerung. Jeder aktuelle Geburtenjahrgang hat in Deutschland etwa 700000 Kinder, d.h. es gibt mehr als 10 Mio Kinder und Jugendliche die noch länger ungeimpft bleiben werden, da es noch keinen zugelassenen Impfstoff gibt (und er auch produziert und geliefert werden muss).
Und das Problem ist, dass es bei einer Basisreproduktionszahl von R0=6, selbst bei einer angenommenen Impfquote von 70 Prozent (und einer angenommenen Wirksamkeit der Impfung von 100%), immer noch zu einer Infektionswelle bei den Nichtgeimpften kommen würde. Das liegt daran, dass sich mit höherer Basisreproduktionszahl die Schwelle der Herdenimmunität immer weiter nach oben verschiebt.
Hier ist die Modellrechnung eines SEIR-Modells (Susceptibles, Exposed, Infected, Removed) mit R0=6, alpha=1/3, gamma = 1/10; beta = R0*gamma. Die angenommene Bevölkerungszahl ist 80 Mio. Bemerkung: Eine Beschreibung des etwas einfacheren SIR-Modells ist hier zu finden.
Zum Tag 0 sei hier 1/1000stel der Bevölkerung mit der Variante angesteckt, die die erhöhte Basisreproduktionszahl R0=6 hat. 70% der Bevölkerung sei (etwa durch Impfung) am Tag 0 vollständig immun.
Die grüne Linie ist die Anzahl der Geimpften+Genesenen („R“, wobei hier Verstorbene auch als Genesen gelten). Wir sehen, dass es ab Tag 120 zu einer Infektionswelle (rot sind die Infizierten, „I“) kommt und der Anteil der Geimpften+Genesenen (grün) von 70% auf über 90% (genauer gesagt 91.9%) steigt. Das bedeutet, das sich in dieser Welle mehr als 2/3 der Ungeimpften noch infizieren, bevor die Ausbreitung des Virus langsam aufhört. Blau sind übrigens die Ansteckbaren („S“) und magentafarben (kaum sichtbar) sind die Exponierten („E“).
Professor Christian Drosten hat es so ausgedrückt:
„[Wer sich] dagegen entscheidet, sich impfen zu lassen, der wird sich [früher oder später] unweigerlich infizieren.“.
Siehe etwa hier bei NTV.de.
Deswegen wäre es wichtig gewesen, B.1.617.2 außer Landes zu halten – oder zumindest diese Variante entschieden einzudämmen. Wahrscheinlich ist der Zug allerdings abgefahren, denn mit aktuell geschätzten 2% der Ansteckungen in Deutschland (RKI-Bericht zu Virusvarianten vom 19.5.2021) wird die Variante B.1.617.2 in Deutschland wahrscheinlich einen ebensolchen Siegeszug erleben, wie B.1.1.7 im ersten Halbjahr 2021. Inzwischen sind etwa 90% der Proben in Deutschland B.1.1.7. Zur Erinnerung: Das erste Auftreten von B.1.1.7 in Deutschland war etwa zum Jahreswechsel 2020/2021.
RKI: Bericht zu Virusvarianten von SARS-CoV-2 in Deutschland (19.5.2021)
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/DESH/Bericht_VOC_2021-05-19.pdf?__blob=publicationFile
Ich darf hier nochmal darauf hinweisen, dass die dritte Welle in Deutschland (verursacht durch die höhere Infektiösität von B.1.1.7) aufgrund von ebensolchen Rechnungen wie oben vorhergesagt wurde. Die Welle wurde dann durch Lockerungen noch verstärkt, und (leider) wurde ein weiterer, teurer Lockdown nötig.
Es zeigt sich, dass der Ansatz der westlichen Industrieländer (keine entschiedene Eindämmung, sondern nur Dämpfung der Ausbreitung auf R nahe 1 und Warten auf die Impfung; keine entschiedene Kontrolle der Grenzen, um den Eintrag neuer Virusvarianten zu verhindern) eine riskante Strategie bleibt, die letztlich teurer sein könnte, als eine entschiedene Eindämmung im Geiste von No-Covid (oder nach dem Vorbild asiatischer Länder).
Nachtrag: Das oben Beschriebene ist ein Szenario (!), aus dem die Politik Maßnahmen ableiten könnte (etwa Maßnahmen an Schulen, vorgezogene Impfkampagnen von Kindern, schnellere Beschaffung von Impfstoffen für Kinder, etc.). Da die Impfungen in Wirklichkeit keine Wirksamkeit von 100% haben, wird die o.g. Welle unter den Ungeimpften auch auftreten, wenn die Impfquote etwas höher als 70% ist. Natürlich können Ungeimpfte in den privaten Lockdown gehen. Die meisten Kinder sind allerdings schulpflichtig.
Die Politik oder die Gesellschaft könnte sich auch dazu entscheiden zu akzeptieren, dass 2/3 der Kinder sich infizieren.
Und falls B.1.617.2 nicht ansteckender sein sollte als B.1.1.7, sind wir sowieso in „good shape“, d.h. zumindest die oben beschriebene Welle fällt dann aus. Leider ist das inzwischen unwahrscheinlich.
Nachtrag (21.05.2021): Die Bundesregierung hat heute GB als Virusvariantengebiet eingestuft, wodurch starke Reisebeschränkungen gelten (siehe etwa hier und hier).
Nachtrag: Wer etwas über die mRNA-Impfstoffe erfahren will, kann diese phantastischen Artikel lesen, auf die ich erst jetzt aufmerksam geworden bin. Verständlich mit (ungefähr) Biologiewissen Gymnasium Oberstufe, aber mit genug Detail und Verweisen, sich tiefer damit zu beschäftigen:
Reverse Engineering the source code of the BioNTech/Pfizer SARS-CoV-2 Vaccine
Reverse Engineering Source Code of the Biontech Pfizer Vaccine: Part 2
Why Two Vaccines Passed the Finishing Line In a Year and Others Didn’t, and a Month 12 Roundup
The CureVac Vaccine, and a brief tour through some of the wonders of nature
Assemblies-of-putative-SARS-CoV2-spike-encoding-mRNA-sequences-for-vaccines-BNT-162b2-and-mRNA-1273
Wer sich für die Sicherheit der Coronaimpfkampagne in Deutschland interessiert, möchte vielleicht die Sicherheitsberichte des PEI lesen.
Nachtrag (24.05.2021): Der Bundesgesundheitsminister rief gestern dazu auf, BioNTech-Dosen (aktuell ab 16 Jahre zugelassen) für Schüler zu reservieren.
Nachtrag (31.5.2021): Nach der Zulassung von BioNTech/Pfizer für Jugendliche möchte die Bundesregierung die Impfung der Jugendlichen offenbar vorantreiben. Allerdings möchte die StiKo die Impfung für Jugendliche noch nicht empfehlen, sondern sie möchte mehr Daten abwarten, da die Risikoabwägung für Kinder schwieriger ist als für Erwachsene. Solche Daten werden allerdings wahrscheinlich bald aus den Ländern zur Verfügung stehen, die die Impfung der Jugendlichen bereits betreiben.
Nachtrag (31.5.2021): Wegen des exponentiellen Wachstums von B.1.617.2 in GB sieht ein Experte Großbritannien vor dritter Welle (Meldung von NTV vom 31. Mai 2021).
Nachtrag (1.6.2021): Nach Medienberichten, macht B.1.617.2 inzwischen 3/4 der Neuinfektionen in Großbritannien aus (erste Impfung 56 Prozent der Bevölkerung), ist also deutlich erfolgreicher als B.1.1.7. Der Guardian berichtet von einer geschätzten SAR (Secondary Attack Rate) von 13.5% (+/- 1.0%) bei B.1.617.2 im Vergleich zu 8.1% (+/- 0.2%) bei B.1.1.7. In Deutschland (erste Impfung ca. 42 Prozent der Bevölkerung) scheinen die Anteile von B.1.617.2 noch einigermaßen stabil bei 2 bis 3 Prozent zu liegen.
In Australien berichtet Medien, dass man Corona-Ansteckungen schon bei „flüchtigem Kontakt“ (fleeting contact, stranger-to-stranger transmission) beobachtet wurden.
Nachtrag (11.6.2021): Die zuerst in Indien entdeckte Variante B.1.617.2 heisst nun Delta-Variante und ist deutlich ansteckender als B.1.1.7, welche nun Alpha heisst, hier die Daten von Public Health England. Die Studie betrachtet Ansteckungen im Haushalt.
„This study found a 64% increase in the odds of household transmission associated with infection with B.1.617.2 SARS-CoV-2 variant compared to B.1.1.7, following adjustmentfor the index cases’ vaccination status, as well as sex, ethnicity, IMD and age group.“ (Direkter Link zum Dokument)
Daher lässt die Studie noch keine direkten Rückschlüsse auf den R-Wert von Delta im Vergleich zu Alpha zu. Allerdings dominiert die Delta-Variante die Neuansteckungen in England inzwischen deutlich. Dem schon oben verlinkten Dokument kann man entnehmen (Link zur Referenz 2 eingefügt):
„By the end of May 2021, B.1.617.2 had become the dominant SARS-CoV-2 virus in England, accounting for over 90% of all new cases (2).“ (Direkter Link zum Dokument, Seite 7)
und (Links zu Referenz 2 und Referenz 4 eingefügt)
„Surveillance and modelling data suggest B.1.617.2 has quickly become the dominant variant in England. In England, the B.1.617.2 variant has by far highest growth rate, reflecting both the biological properties of this variant and the context in which it is transmitting (2, 4). The observed rapid spread of this variant in England and internationally necessitate investigation into the transmissibility advantage of this variant compared to the previously dominant variant, B.1.1.7, to assess its potential impact on the incidence in England.“ (Direkter Link zum Dokument)
Nachtrag (11.6.2021): Inzwischen ist die Diskussion, dass die durch die Delta-Variant zu erwartende vierte Welle im Herbst vor allem Kinder betreffen könnte, in den Medien angekommen:
Im Herbst könnte eine vierte Corona-Welle vor allem Kinder und Jugendliche treffen, da sie als Letzte geimpft werden. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie gefährlich Covid-19 für sie ist. Wie hoch ist ihr Risiko, schwer zu erkranken, wie wahrscheinlich sind langfristige Beeinträchtigungen? (NTV – Impfung oder Ansteckung – Wie gefährlich ist Covid für Kinder?)
Nachtrag: (17.6.2021): Inzwischen hat die Delta-Variante in Deutschland etwa 6 Prozent erreicht, GB hat durch Delta deutlich steigende Zahlen. Das hier beschriebene Szenario (Delta-Ausbreitung in den Schulen im Herbst) wird inzwischen auch in den Medien diskutiert. Der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI), Carsten Watzl wird bei NTV zitiert:
„Wenn man die Infektion nicht einfach unter den Schulkindern durchlaufen lassen will, muss man sich spätestens jetzt an Konzepte wie Luftfilter machen, um nicht im Herbst wieder die Schulen zumachen zu müssen“, mahnte Watzl. (NTV – Experten mahnen: Auf Delta-Welle vorbereiten)
Nachtrag (18.6.2021): In einem Interview gibt Dr. Jana Schroeder den R-Wert von Delta mit „5 bis 8“ an und sagt
„Die Welle mit der Delta-Variante ist bereits quasi gebucht, auch für Deutschland.“ (NTV)
und weiter
„Für Schulen besonders wichtig ist eine niedrige Inzidenz. Denn wenn die Inzidenz niedrig ist, sind auch Ausbrüche an Schulen seltener. Zudem bedarf es mindestens einer uneingeschränkten Maskenpflicht nach Urlaubsrückkehr und, je nach Infektionsgeschehen, auch einer längeren Maskenpflicht. Luftdeckenfilter müssen flächendeckend installiert werden. In den Schulen haben wir eine Hochrisikosituation: viele Menschen in einem Raum. Und die kann durch technische Lösungen entschärft werden. Dann sollte die Testpflicht beibehalten und möglichst auch auf eine Pool-PCR-Testung umgestellt werden. Die Antigen-Schnelltests übersehen doch einen relevanten Teil der Infizierten.“ (NTV)
Nachtrag (22.6.2021): NTV meldet, basierend auf Zahlen einer Laborgemeinschaft, einen Delta-Anteil von 25 Prozent in den Daten der Laborgemeinschaft für Münchener Raum. Zum Anstieg gibt es nur zwei Datenpunkte:
8.6.2021 bis 13.6.2021: 11,2 Prozent Delta (81,6 Prozent Alpha; 6,3 Prozent Wildtyp; 0,9 Prozent Gamma)
14.6.2021 bis 20.6.2021: 24,6 Prozent Delta (58,7 Prozent Alpha; 15,9 Prozent Wildtyp; 0,8 Prozent Beta)
– Daraus, dass auch der Anteil des (weniger ansteckenden) Wildtyps von 6 Prozent auf 16 Prozent gestiegen ist, könnte man allerdings schließen, dass die Daten vergleichsweise verrauscht sind.
Nachtrag (23.6.2021): Etwa einen Monat nach diesem Blog-Eintrag bewahrheiten sich die Prognose: Die aktuellen Maßnahmen und das Verhalten der Bürger reicht aus, die Infektionszahlen durch B.1.1.7 (Alpha) zu senken. Gleichzeitig wächst leider die Anzahl der B.1.617.2-Variante (Delta), da die Variante noch ansteckender ist.
Die neuen Zahlen des RKI lauten nun:
KW21/2021 (Woche vom 24 Mai): 4 Prozent
KW22/2021 (Woche vom 31.Mai): 8 Prozent
KW23/2021 (Woche vom 5. Juni): 15 Prozent
Die die Infektionszahlen insgesamt noch zurückgehen, ist das weniger als Verdopplung jede Woche. Damit geht das Infektionsgeschehen dennoch (und mit Ansage) in Deutschland den gleichen Weg wie in GB. Deutschland wird in Kürze (wieder) vor der Entscheidung stehen: Infektionen laufen lassen oder Lockdown. Die Impfungen, jedenfalls, gehen aktuell nicht schnell genug, zumal die erste Impfstoff-Dosis gegen Delta wenig auszurichten vermag. Aktuelle Impfzahlen: Geimpfte Personen 51,6%, vollständig geimpft 32,4%.
Nachtrag (7.7.21): Inzwischen ist Delta in Deutschland die dominante Variante und hat allen anderen Varianten den Rang abgelaufen; siehe auch hier.
Nachtrag (7.7.21): Mithilfe von Simulationen mit einem (leicht verfeinerten) SEIR-Modell (mit 16 Altersgruppen) kommt das RKI zum Schluss, dass durch Delta nun eine Impfquote von mindestens 85% erreicht werden muss, um eine Delta-Welle im Herbst und Winter zu verhindern (Abb. 1 und Abb. 2 im Epidemiologisches Bulletin 27/2021 RKI mit dem Titel: „Welche Impfquote ist notwendig, um COVID-19 zu kontrollieren?„).
Nachtrag (25.8.21): Ein Artikel in der Zeit von Linda Tutmann fasst die Lage der Kinder im Herbst zusammen: „Wer eine ‚Pandemie der Ungeimpften‘ verkündet, dem sind die Kinder unter zwölf Jahren ganz offensichtlich gleichgültig. Sie werden der Durchseuchung überlassen.“ An meiner Befürchtung, dass die durch die Delta-Variante (B.1.617.2) verursachte Delta-Wenne (die bereits begonnenen hat) im Herbst die Durchseuchung der Kinder bringen könnte, hat sich nichts geändert. Die Schulen laufen im Normalbetrieb, weiterhin ohne Luftfilter, immerhin (noch) mit (beschwerlichen Alltags-)Masken.
Nachtrag (29.8.21): Berlin schafft die Kontaktverfolgung in Schulen und Kindergärten ab („Das ist eine Erleichterung für die Schulen […] aber auch eine Erleichterung für die Eltern […]“; Bildungssenatorin des Landes Berlin nach NTV-Corona-Live-Ticker.) Darüber berichten inzwischen viele Medien. Die Begründung der Berliner Amtsärzte wird meist nicht im Detail kommuniziert. Daher hier ein Auszug:
"Die vorherrschende Virusvariante vom sog. Deltatyp ist so ansteckend, dass mit einer sicheren Ansteckung der ungeimpften Kinder zwingend zu rechnen ist. Unter Berücksichtigung der im Regelfall ausbleibenden oder allenfalls milden Symptomatik bei Kindern und der für die Bevölkerung nicht als bedeutsam einzuschätzenden Infektiosität der Kinder, die ebenfalls vielfältig belegt ist, werden die Berliner GÄ zukünftig Kinder, die einen positiven Covid -19 Nachweis haben in Isolation schicken, nicht mehr ihre Kontaktpersonen außerhalb der haushalts- und haushaltsähnlichen Kontakte. Das gesamtgesellschaftliche Ziel, der Schutz der vulnerablen Gruppen und eine Vermeidung der Überlastung des Gesundheitssystems werden dadurch, wie bewiesen, nicht beeinflusst."
(Hervorhebung nicht im Orginal.)
Quelle: "Vorgabe der Berliner Amtsärzte (Votum 12 von 12) zum Umgang mit positiv getesteten Personen und Kontaktpersonen im Setting Schule und Kita"
Stand 25.08.2021
https://www.tagesspiegel.de/downloads/27558300/2/amtsaerzte.pdf
Zur Erinnerung. Kinder unter 12 Jahren können aktuell nicht gegen Covid19 geimpft werden – und es besteht Schulpflicht auch für Kinder mit Risikofaktoren.
Das Vorgehen widerspricht klar der S3-Leitlinie „Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle der SARS-CoV-2-Übertragung in Schulen – Lebende Leitlinie„, Kapitel 7 Umgang mit Kontaktpersonen in Schulen.
https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/027-076.html
Einzuwenden ebenfalls:
a) Kinder haben nicht immer eine „ausbleibende oder milde Symptomatik“. Eine komplette Durchseuchung der ca. 500000 Kinder von 0 bis 12 Jahre in Berlin kann z.B. einige hundert Fälle des PIMS-Syndrom bedeuten. (Einige Arbeiten schätzen die Häufigkeit von PIMS auf etwa 1:3000). Etwa 1 Prozent der Kinder müssen nach einer SARS-CoV-2-Infektion ins Krankenhaus; siehe hier.
b) Kinder sind auch für Erwachsene infektiös, auch wenn gerne etwas anderes behauptet wird. („Kinder sind keine Treiber der Pandemie“ ist vor allem eine politische Formel, die gar nicht genau definiert werden kann.)
c) Alle Daten gelten für die bisherigen Varianten von SARS-CoV-2. Die inzwischen in Deutschland vorherrschende Delta-Variante ist aber deutlich infektiöser (R-Wert 8 oder mehr statt einem R von 2 bis 3) und gefährlicher (doppelt so viele Hospitalisierungen bei Erwachsenen).
Die Studie zu Impfung von Kindern von Biontech/Pfizer und die Kidcove Studie von Moderna laufen seit März 2021. Die Daten der Biontech-Studie für die ältere Kindergruppe (5 Jahre bis 11 Jahre) sollten ursprünglich im September vorliegen. Verzögerungen könnten sich ergeben, da die Rekrutierung auf Wunsch der US-Behörden nachträglich erhöht wurden, um seltene Nebenwirkungen (etwa die Myocarditis) besser zu erfassen.
Wenn Berlin sich beeilt, nehmen die Amtsärzte den Eltern die Entscheidung zwischen „Immunität durch Infektion“ und „Immunität durch Impfung“ ab. Es wird dann wohl die Infektion.
Nachtrag 30.08.2021: Der WDR berichtet online: „Die Durchseuchung der Kinder hat begonnen.“ In NRW haben die Altergruppen 5 bis 9 Jahre, 10 bis 14 Jahre und 15 bis 19 Jahre die höchsten Inzidenzen, nämlich 328, 385 und 294. Die Menschen 24 und 45 Jahre liegen etwa bei der Hälfte. Die Senioren liegen zwischen 20 und 40. Da Delta so ansteckend ist, können Kinder und Jugendliche das Virus nachgelagert auch in der Bevölkerung weiter verbreiten:
„[…] Somit können eben auch Kinder und Jugendliche das Virus weiter im Familien- und Freundeskreis verbreiten, auch wenn sie selbst selten erkranken und wenn doch, dann in der Regel nicht schwer. Das sagt auch die Kinder- und Jugendmedizinerin Folke Brinkmann, Oberärztin an der Universitätskinderklinik Bochum.
Kinder und Jugendliche hätten ein etwa einprozentiges Risiko, schwer an Covid zu erkranken. Förster gibt allerdings zu bedenken: ‚Über Long-Covid bei Kindern weiß man noch sehr wenig, so dass nach wie vor Vorsicht geboten ist.‘ […]“
Nachtrag 31.8.2021: Nach Berlin möchte die nächste Großstadt, Köln, die Kontaktverfolgung an Schulen einstellen und nur noch positiv Getestete Kinder und Jugendliche isolieren.
Ein Dokument der CDC zeigt derweil, wie schnell sich Delta in einer Grundschule (elementary school; 0. bis 8. Klasse) in Kalifornien verbreitet hat. Ein Grundschullehrer steckt fast die gesamten ersten zwei Reihen seiner Klasse mit Delta an (die USA haben Einzeltische für die Schüler im Abstand von 2 Metern), sowie ein Kind in der dritten Reihe, eins in der vierten Reihe und zwei in der fünften Reihe. Letztlich hat der Lehrer seine halbe Klasse angesteckt:
„The attack rate in one affected classroom was 50%; risk correlated with seating proximity to the teacher.“
Trotz offenem Fenster, offener Tür und einem mobilen Luftfilter in der Nähe der Tafel. Allerdings trug der Lehrer (zeitweise) keine Maske. Die Kinder trugen Masken – wahrscheinlich aber solche, die nicht vor Aerosolen schützen, also nur Alltags- oder OP-Masken. Weitere Kinder aus anderen Klassen steckten sich ebenfalls an – wahrscheinlich bei den anderen Kindern („[…] thought to be interaction at the school“)
Zeitskala: Lehre bekam Symptome am 19. Mai 2021, er unterrichtet dennoch noch 2 Tage bis zum 21. Mai 2021. Die ersten Schüler bekamen am 22. Mai Symptome.
Der Lehrer war ungeimpft – aber auch Geimpfte sind, wenn sie sich mit SARS-CoV-2 infizieren, leider in den ersten Tagen genauso infektiös wie Ungeimpfte. Infektionen trotz Impfung („Durchbruchsinfektionen“) werden wir mit Delta im kommenden halben Jahr noch sehr häufig sehen; die Wahrscheinlichkeit für eine Durchbruchsinfektion liegt, je nach Alter (jünger ist besser), Impfstoff (mRNA ist besser), Zeitpunkt der Impfung (kürzlich ist besser) und Impfintervall (länger ist besser) bei geschätzten 10 bis 20 Prozent. Bei Senioren auch mehr. Wenn die israelischen Daten übertragbar sind, könnten es auch 35 Prozent sein.
In ihrer „Discussion“ schreiben die CDC-Autoren
„The outbreak’s attack rate highlights the Delta variant’s increased transmissibility and potential for rapid spread, especially in unvaccinated populations such as schoolchildren too young for vaccination.“
Deutsche Medien berichteten ebenfalls über den Ausbruch an der Grundschule, z.B. Spiegel und NTV.
Nachtrag 31.08.2021: Israel meldet für BioNTech/Pfizer nur noch eine Wirksamkeit von nur noch 39 Prozent gegen eine symptomatische Infektion mit Delta. Der Schutz vor schweren Verläufen bleibt hoch (88 Prozent). Allerdings gibt es noch keinen wissenschaftlichen Artikel zu diesen Zahlen (oder auch nur einen Preprint). Die Daten könnten verzerrt sein. Daten anderer Länder zeigen bislang keinen so starken Abfall der Wirksamkeit. Aber die Konsequenz wäre, dass auch viele Geimpfte andere Menschen infizieren könnten. Ein Verzicht auf Tests bei Geimpften wäre dann fahrlässig. Daher muss die Wirksamkeit weiter genau beobachtet werden.
Nachtrag 15.9.2021: In einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) (gemeinsam mit der DGKH) geht man davon aus, dass
„Insgesamt ist damit zu rechnen, dass sich in den nächsten Monaten ein erheblicher Anteil aller Kinder und Jugendlichen mit der Delta-Variante des SARS-CoV-2 infiziert (oder mit dieser in Kontakt kommt).“
Die Risikoeinschätzung stellt im Wesentlichen auf die Hospitalisierung (1 Prozent) und Sterblichkeit ab:
„Weniger als eines von 100 Kindern mit einer SARS-CoV-2 Infektion muss ins Krankenhaus aufgenommen werden, 5% aller im Krankenhaus behandelten Kinder mit SARS-CoV-2 Nachweis benötigen eine Intensivtherapie und 3 bis 4 von 1000 dieser stationär behandelten Kinder versterben mit oder an COVID 19.“
Das Risiko für PIMS und Long Covid wird nicht gesehen:
„Das Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome (PIMS) und Long-COVID sind bei Kindern unter 12 Jahre so selten, dass sie nicht als Argument für schwerwiegende und schädliche Eingriffe in den Alltag der Kinder herhalten können.“
Sogar von systematischen Testen an Schulen wird abgeraten.
Andererseits wird doch zu Long Covid bei Kindern (allerdings erst auf Seite 13) ausgeführt:
„In einer Kohorte von 4678 Kindern, die in Schottland und Wales am VirusWatch Projekt teilgenommen haben (prospektive haushaltsbezogene Kohortenstudie) lag die Rate von Kindern mit Symptomen über 4 Wochen nach der Diagnose bei 4,6 %. Häufiger waren Mädchen, Teenager und Kinder mit vorbestehender Grunderkrankung betroffen.“
Nachtrag 3.2.2022: Schon in der Deltawelle waren die Kinder zum Teil am stärksten betroffen. Aktuell sehen wir eine Durchseuchung der Kinder durch Omikron: „Das Fallaufkommen zieht dem Wochenbericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) zufolge weiter stark an. Demnach bleiben in der Omikron-Welle Kinder bis 14 Jahren am stärksten vom Infektionsgeschehen betroffen. In ihrer Altersgruppe schießt die Wochen-Inzidenz in der vierten Kalenderwoche auf 2591,68. Ebenfalls stark betroffen sind Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 34 Jahren. Bei ihnen steigt die Wochen-Inzidenz auf 1696,26.“ (NTV)
Die offizielle bundesweite 7-Tage-Inzidenz ist 1283 (von 100000).
Nachtrag 3.2.2022: Moderna hatte schon zu Beginn der Pandemie im Jahr 2020 öffentlich gemacht, dass es für die Dauer der Pandemie die Eigentumsrechte an seinem Impfstoff nicht durchsetzen werde. Jetzt nutzt das erste Unternehmen diese Möglichkeit: „In Südafrika will das Biotechunternehmen Afrigen Biologics erstmals einen eigenen Covid-19-Impfstoff für den afrikanischen Kontinent herstellen. Die Firma aus Kapstadt will dafür die öffentlich zugängliche Sequenz des mRNA-Vakzins von Moderna verwenden, um eine eigene Version des Impfstoffs zu entwickeln. Diese könnte noch in diesem Jahr am Menschen getestet werden, erklären leitende Angestellte von Afrigen.“ (NTV)
Hier das damalige Statement von Moderna von 2020: „We feel a special obligation under the current circumstances to use our resources to bring this pandemic to an end as quickly as possible. Accordingly, while the pandemic continues, Moderna will not enforce our COVID-19 related patents against those making vaccines intended to combat the pandemic. Further, to eliminate any perceived IP barriers to vaccine development during the pandemic period, upon request we are also willing to license our intellectual property for COVID-19 vaccines to others for the post pandemic period.„
Seltsamerweise hat dieses Statement in der Diskussion um die Freigabe von Impfstoffpatenten in den deutschen Medien nie eine Rolle gespielt.