21. August 2020 – Oliver Rheinbach

Corona: Wie sterilisiert man Masken, die man nicht waschen kann? Eine Regressionsaufgabe.

Nachtrag (19.11.2020): Inzwischen gibt es auf dem deutschen Markt durchaus Anbieter von FFP2 bzw. CPA-Masken (Schnellzulassungsverfahren in Anlehnung an FFP2). Das ist auch das Verdienst von mittelstĂ€ndischen Unternehmen. Etwa produzieren einige Automobilzulieferer in SĂŒddeutschland CPA-Masken, und ein Vlieshersteller produziert in Sachsen Masken, die inzwischen CPA-zertifiziert sind. FFP2-Masken namhafter westlicher Medizintechnikhersteller kosten aktuell ca. 6 bis 8 Euro das StĂŒck (nach bis zu 20 Euro im Sommer, falls ĂŒberhaupt lieferbar). CPA-Masken aus deutsche Produktion kosten aktuell ca. 3 Euro. Nachdem im Sommer fernöstliche KN95 Masken in Europa fĂŒr 5 bis 10 Euro verkauft wurden, kosten Sie inzwischen ein Bruchteil davon. Allerdings gibt es dabei viele FĂ€lschungen, wie man dem (furchtbar unĂŒbersichtlichem) europĂ€ischen Produktwarnsystem RAPEX immer wieder entnehmen kann. Das gilt ebenso fĂŒr fernöstliche Masken, die angeblich FFP2-Masken sind, tatsĂ€chlich den Standard aber nicht einhalten.

Beitrag vom 21.08.2020: Bei Alltagsmasken reicht bekanntermaßen das Waschen in der Waschmaschine mit Vollwaschmittel (enthĂ€lt Natriumpercarbonat, landlĂ€ufig als Sauerstoffbleiche bekannt); aber wer auf FFP2/KN95/N95-Masken angewiesen ist, um sich zu schĂŒtzen (etwa vor Ansteckung durch die Luft ĂŒber Aerosole), steht vor derselben Frage wie die Gesundheitssysteme vieler LĂ€nder (darunter die USA und Deutschland): Wie lange kann man FFP2/KN95/N95-Masken verwenden und wie kann man sie nach einem Einsatz sterilisieren?

Die Empfehlungen des RKI (Mögliche Maßnahmen zum Ressourcen-schonenden Einsatz von Mund-Nasen-Schutz (MNS) und FFP-Masken, Stand des Dokumentes 14.04.2020, gĂŒltig bis 31.08.2020) vermeidet Hinweise zur Nutzungsdauer und zur Sterilisation: „[Bei der Wiederverwendung ist zu beachten, dass] benutzte Einweg-FFP Masken/MNS nicht mit Desinfektionsmittel zu reinigen oder zu desinfizieren sind, da dies die FunktionalitĂ€t der Maske negativ beeinflussen kann„. In der Tat raten deutsche Hersteller vor der Sterilisation (wohl auch aus HaftungsgrĂŒnden) ab.

Die amerikanische Seuchenbehörde CDC hat, aus der Not, deutlich konkretere VorschlĂ€ge. Es ist bekannt, dass die Filterleistung von FFP/KN95/N95-Masken mit der Benutzung absinken kann, so dass die Masken anschließend nicht mehr sicher sind (allerdings ist eine solche Maske sehr wahrscheinlich auch dann noch sicherer als Alltagsmasken; s.u.). Die CDC empfiehlt (fĂŒr amerikanische N95-Masken) unter Krisenbedingungen die Wiederverwendung (limited re-use) von N95-Masken mit einer summierten maximalen Nutzungszeit von 8 bis 12 Stunden (Abschnitt „Extended use of N95 Respirators“; zuletzt am 23.11.2020 geupdated):

When practicing extended use of N95 respirators, the maximum recommended extended use period is 8–12 hours. Respirators should not be worn for multiple work shifts and should not be reused after extended use.

Das bedeutet fĂŒr den privaten Gebrauch, dass man die Maske durchaus wiederverwenden kann. Am Ende eines Tages sollte die Maske dann einige Tage in einer PapiertĂŒte (keine PlastiktĂŒte!) gelagert werden, damit eine eventuelle Virenlast sich langsam abbaut (oder ein paar Tage an einen Haken aufhĂ€ngen). Auf porösem Material dauert das Abbauen der Viren aber wahrscheinlich mehrere Tage. Wenn man jeden Tag Schutz braucht, braucht man mehrere FFP2/KN95/N95-Masken zum Rotieren. Die Rotationsstrategie (mit einer Maske fĂŒr jeden Wochentag) ist in der aktuelle Corona-Krise als eine der „Crisis Capacity Strategies (during known shortages)“ (im Abschnitt „Limited Re-use of N95 respirators“) von der US-amerikanische Seuchenbehörde CDC fĂŒr medizinisches Personal (!) vorgeschlagen worden:

Each respirator will be used on a particular day and stored in a breathable paper bag until the next week. This will result in each worker requiring a minimum of five N95 respirators if they put on, take off, care for them, and store them properly each day. This amount of time in between uses should exceed the 72 hour expected survival time for SARS-CoV2 (the virus that caused COVID-19).

 

Bleibt die Frage nach einer möglichen Desinfektion nach einem Einsatz, wenn man nicht 72 Stunden auf das „Absterben“ des SARS-CoV-2-Virus warten möchte (oder wenn man ganz sicher gehen will).

Der amerikanische Goldstandard zur Desinfektion von N95-Masken in den USA ist „vaporized hydrogen peroxide (VHP)“ (Wasserstoffperoxid-Dampf); diese Technik hat in den USA eine Sondergenehmigung  zur Dekontamination von Masken bekommen. Sie steht allerdings in Europa kaum zur VerfĂŒgung.

Es geht aber auch mit Low-Tech: In den deutschen Medien relativ prĂ€sent (auch nachdem Karl Lauterbach den Artikel getwittert hat) ist ein wissenschaftlicher Artikel aus den USA, der zeigt, dass eine N95-Maske in einem Reiskocher (ohne Wasser!) sterilisiert werden kann. Titel des Artikels ist „Dry Heat as a Decontamination Method for N95 Respirator Reuse“, Hintergrund ist, dass in vielen amerikanischen Haushalten Reiskocher und Ă€hnliche GerĂ€te zur VerfĂŒgung stehen. Ein Zyklus im trockenen Reiskocher bedeutet nach den Messungen der Experimentatoren, dass die Maske trockener Hitze von etwa 100 Grad fĂŒr eine Stunde ausgesetzt ist. Die Masken mĂŒssen dabei auf einem Handtuch liegen, weil die Bodenplatte des Kochers ohne Wasser deutlich heißer als 100 Grad wird, wodurch die aufliegende Maske schmelzen wĂŒrde. Wichtig ist, dass im Artikel auch getestet wurde, dass das betrachtete N95-Modell (3M 1860) die Prozedur auch mehrmals ohne BeeintrĂ€chtigung der Filterleistung ĂŒbersteht. Übrigens kann man sich nicht ganz sicher sein, ob der Reiskocher die Prozedur (ohne Wasser!) öfters ĂŒbersteht – ein Trockenbetrieb ist ziemlich sicher außerhalb der Designparameter.

Allerdings: Die getestete N95-Maske ist von hoher QualitĂ€t und (wie andere N95-Masken) in Europa in der aktuellen Krisenlage praktisch nicht erhĂ€ltlich. Masken nach europĂ€ischem FFP2-Standard mĂŒssen immerhin 70 Grad ĂŒberstehen, sie ĂŒberstehen aber wahrscheinlich auch 100 Grad. „Echte“ FFP2-Masken von westlichen Herstellern sind aber aktuell weltweit ebenfalls schwer erhĂ€ltlich. ErhĂ€ltlich sind chinesische KN95-Masken, die oft etwas zarterer Bauart sind. (Bei vielen mit FFP2 oder N95 gekennzeichneten Masken, die online angeboten werden, dĂŒrfte es sich in Wahrheit um FĂ€lschungen handeln oder, so kann immerhin hoffen, um KN95-Masken.) In jedem Fall mag der eine oder andere Nutzer Zweifel haben, ob seine KN95-Maske die 100-Grad-Prozedur (fĂŒr eine Stunde!) mehrmals ĂŒbersteht. (Nachtrag 17.01.2021: Inzwischen bekommt man Marken-FFP2-Masken aus westlicher Produktion in Deutschland, die dem getesteten Modell Ă€quivalent sind.)

Die gute Nachricht ist: Es reicht wahrscheinlich auch 70 Grad Hitze (bei hoher Virenlast ist mehr als eine Stunde nötig!), um die HĂŒlle des SARS-CoV-2-Virus zu zerstören, wie dieser Preprint darstellt (Testmodell war eine 3M Aura 9211+). Titel des Artikels ist „Assessment of N95 respirator decontamination and re-use for SARS-CoV-2“.

Nachtrag (17.01.2021): Wer sicher gehen will , sollte 80 Grad wĂ€hlen. Allerdings sind Backöfen in der Einhaltung der eingestellten Temperatur wohl nicht sehr verlĂ€sslich. Deswegen findet man in den Medien auch den Tipp, ein Bratenthermometer zur Temperaturmessung dazu zulegen. Mehr als 100 Grad sollte man aber nicht einstellen, weil etwa die GummibĂ€nder ziemlich sicher leiden werden. Und die beste Filterleistung des Maske nĂŒtzt nichts, wenn sie nicht dicht sitzt.

Wo ist nun die Regressionsaufgabe? Da der Artikel unter Creative-Common-CC0-Lizenz steht, kann ich hier die wichtigste Abbildung des Artikels wiedergeben (Robert Fischer, Dylan H Morris, Neeltje van Doremalen, Shanda Sarchette, Jeremiah Matson, Trenton Bushmaker, Claude Kwe Yinda, Stephanie Seifert, Amandine Gamble, Brandi Williamson, Seth Judson, Emmie de Wit, Jamie Lloyd-Smith, Vincent Munster: Assessment of N95 respirator decontamination and re-use for SARS-CoV-2, https://doi.org/10.1101/2020.04.11.20062018):

Es sind leider relativ wenig Datenpunkte, aber die Autoren haben dennoch eine Regression vorgenommen (siehe Abbildung). Die Daten sind auf Github (https://github.com/dylanhmorris/n95-decontamination) und OSF (https://osf.io/mkg9b/). Allerdings habe ich die Messwerte zur Abbildung (insbesondere die Virus-Titerdaten) auf die Schnelle dort nicht gefunden. Möglicherweise haben die Autoren erst einmal nur die Daten zu den Versuchskonfigurationen hochgeladen. Jedenfalls können wir hier die Regression nun leider nicht nachrechnen.

Die dargestellten Ergebnisse zeigen aber, dass eine halbe Stunde im 70-Grad-Ofen die Anzahl der Viren um den Faktor 100 reduziert (zweite Spalte; „Heat“). Als dekontaminiert wurde die Maske nach einer Stunde im 70-Grad-Ofen angesehen, womit eine Reduktion der Viren um den Faktor 10000 erreicht wurde. Nach dem Modell der Autoren reduziert ĂŒbrigens auch eine kurze Erhitzung die Virenlast (allerdings entsprechend weniger).

Behandlung mit 70-prozentigem Alkohol (erste Spalte; „Ethanol“) wirkt auch gut, zerstört aber schon nach zweimaliger Anwendung die Filtereigenschaften der Maske – ohne dass das sichtbar sein muss. Alkohol ist zur Dekontamination also nicht empfohlen.

Allerdings leiden die Masken auch unter der Behandlung mit 70 Grad Hitze: „Fit factors are a measure of filtration performance: the ratio of the concentration of particles outside the mask to the concentration inside. The measurement machine reports value up to 200. A minimal fit factor of 100 (red dashed line) is required for a mask to pass a fit test.“ Dies bedeutet nach den obigen Abbildung, dass man die Maske etwa dreimal mit Hitze behandeln kann, bevor man sie entsorgen (oder fĂŒr noch schlechtere Zeiten in einer PapiertĂŒte aufbewahren) sollte.

Offenbar leiden die Masken auch einfach an Ihrer Verwendung, wie man an der Spalte „Control“ sehen kann; diese Masken wurden zum Vergleich nicht behandelt.

Nachbemerkung zur Wichtigkeit von Masken: Forscher der ETH ZĂŒrich haben bei Betrachtung der Rohdaten eines einflussreichen Nature-Artikels chinesischer Forscher einen  Fehler in der Datenanalyse gefunden (veröffentlich am 5.8.2020). Offenbar ist SARS-CoV-2 wesentlich frĂŒher ansteckend als gedacht, nicht erst 2 bis 3 Tage vor den ersten Symptomen. Dies hat auch weltweite Folgen fĂŒr die Nachverfolgungsprozeduren die auf den Nature-Artikel basieren (auch die des RKI in Deutschland):

Our reanalysis suggests that tracing contacts of infected index cases as far back as 2 or 3 days before symptom onset in the index case might not be sufficient to find all secondary cases.

Stattdessen finden viele Ansteckungen bis zu 4 Tage vor Eintritt der ersten Symptome statt:

the corrected distribution tells us we need to look back at least 4 days to catch 90% of presymptomatic infections.

Auch nach der Korrektur bleibt es dabei, dass ĂŒber 40 Prozent der Ansteckungen durch Menschen geschieht, die selbst noch keine Erkrankungssymptome spĂŒren, denen die Erkrankung also erst recht nicht anzusehen ist:

We also found a presymptomatic infection fraction of 45.6% (95% CI 23.8–75.8%) using the He et al. [1] method and 43.7% (95% CI 26.4–64.5%) using the corrected profile.

Aber vielleicht kann ja ein Hund die SARS-CoV-2-Infektion riechen. Ansonsten bleibt im Zweifel zum Schutz nur Abstand halten, Maske tragen und die Corona-Warn-App.

Noch eine Bemerkung: Hier ein einfĂŒhrender Artikel der CDC zu Masken fĂŒr medizinisches Personal. Diese KurzgegenĂŒberstellung von OP-Masken und N95 -Masken (entsprechend FFP2 bzw. KN95) macht auch deutlich, dass die Dichtheit der Maske wesentlich ist, um vor Aerosolen zu schĂŒtzen. Vor Tröpfchen schĂŒtzt dagegen schon die einfache OP-Maske. Letzteres gilt, in AbhĂ€ngigkeit der der Dichtheit des Gewebes, auch fĂŒr eine Stoffmaske. Ein Beispiel: die waschbare Textilmaske, die ein deutscher Textilhersteller in der Coronakrise entwickelt hat,  ist als Medizinprodukt (d.h. als OP-Maske, nicht als FFP-Maske) zertifiziert. Es handelt sich dabei um ein Laminat aus drei Lagen, die zusammen einen sehr dichten Stoff ergeben. Wenn man diesen Stoff gegen das Licht hĂ€lt, kann man keine Löcher erkennen – anders als bei ĂŒblichen  Alltagsmasken.

Nachtrag 17.01.2020: Da nun eine bundesweite Pflicht zu FFP2-Masken im Bus und Bahn und im Supermarkt im Raum steht, ist die Frage der Wiederverwendung von FFP2-Masken noch relevanter geworden. Dazu ist auch zu bemerken: Damit die FFP2-Maske (fĂŒr den TrĂ€ger und fĂŒr andere) wirksam ist, muss sie dicht sitzen, genau gesagt dĂŒrfen nur etwa 8% des Luftstroms um die Maske herum gehen. Eigentlich mĂŒsste jede(r) TrĂ€ger mal einen Fit-Test machen (ein Riechtest mit einer vernebelten Testsubstanz, etwa Saccharin), um zu verstehen, wann eine Maske wirklich dicht sitzt.

Allerdings: Wenn ich zur Zeit durch die Stadt gehe, fĂ€llt mir schon bei den Alltagsmasken nur eine Bemerkung ein: „Jeden Tag lerne ich neue Methoden, Masken so zu tragen, dass sie unwirksam sind.“ Ach ja: Und VollbarttrĂ€ger können die FFP2-Maske gleich weglassen, die Luft geht sowieso durch den Bart und nicht durch die Maske.

Nachtrag (23.01.2021): Inzwischen hat die Fachhochschule MĂŒnster aufgrund eigener Untersuchungen eine Handlungsempfehlung zur Sterilisation von FFP2-Masken online gestellt. Kurz lautet diese: 80 Grad trockene Hitze – mit Bratenthermometer zur ÜberprĂŒfung der Temperatur. Die wissenschaftliche Publikation zum Thema soll in einigen Monaten folgen.

Der Hersteller 3M befĂŒrchtet fĂŒr seine Masken, dass Erhitzen ĂŒber 75 Grad (Stand des Dokumentes September 2020) die Filtereigenschaften beeintrĂ€chtigen könnte. 70 Grad Hitze mĂŒssen FFP2-Masken allerdings gemĂ€ĂŸ Standard aushalten!

 

03. August 2020 – Oliver Rheinbach

Wer stirbt in Deutschland an Corona?

Die besprochenen S(E)IR-Modelle unterscheiden nicht zwischen geheilten und verstorbenen Infizierten. Die Anzahl der Verstorbenen wird erst im Nachhinein als Anteil der Personen im Status „R“ berechnet. Doch welchen Zahlenwert soll man als Anteil nehmen? Wenn man die Hospitalisierungsrate von SARS-CoV-2-Infektionen kennt, hilft die folgende Studie weiter.

Eine neue Studie in Lancet Resp Med  hat nun fĂŒr Deutschland fĂŒr den Zeitraum vom 26.02.2020 bis 19.04.2020 die Daten von 10021 erwachsenen Covid-19-Krankenhauspatienten genauer angeschaut.

Von den 10021 Covid-19-Patienten, die in Krankenhaus kamen, mussten 17% beatmet werden, darunter deutlich mehr MĂ€nner als Frauen. Interessanterweise waren davon grob ein Viertel 18 bis 59 Jahre alt, ein weiteres Viertel 60 bis 69 Jahre, ein weiteres 70 bis 79 Jahre und das letzte Viertel ĂŒber 80. Genauer:

„Of 10 021 hospitalised patients being treated in 920 different hospitals, 1727 (17%) received mechanical ventilation (of whom 422 [24%] were aged 18–59 years, 382 [22%] were aged 60–69 years, 535 [31%] were aged 70–79 years, and 388 [23%] were aged ≄80 years).“

Insgesamt starben 2229 der 10021 Patienten. Wer erst einmal beatmet wurde, hatte eine Überlebenschance von 47 Prozent.

Verschiedene Medien, darunter Scinexx, haben die Studie zusammengefasst.

Langzeitfolgen spielten in der Untersuchung keine Rolle.

Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung werden (naturgemĂ€ĂŸ) erst nach und nach sichtbar und wissenschaftlich untersucht, NTV zitiert den Studienleiter Stefan Schreiber mit den Worten: „Ein 30-JĂ€hriger könnte nach zehn Jahren die Organe eines 60-JĂ€hrigen haben, fĂŒrchtet er – auch bei leichten VerlĂ€ufen“. Auch an anderer Stelle wurde ĂŒber bleibende SchĂ€den (am Herzen), auch bei leichten VerlĂ€ufen, berichtet.

Eine gute Nachricht dagegen: Eine Studie in Lancet weist auf eine deutliche Schutzwirkung sogar von einfachen OP-Masken hin (wovon man in Asien allerdings schon lange ĂŒberzeugt ist, auch aus der Erfahrung mit SARS-1):

The use of face masks was protective for both health-care workers and people in the community exposed to infection.

Gemeint sind hier auch einfache OP-Masken („surgical masks“), die nicht den Standards FFP2 (Europa), N95 (USA), oder KN95 (China) („respirators“, „personal protective equipment – PPE“) entsprechen. Allerdings schĂŒtzen N95-Masken (analog FFP2 oder KN95) besser:

[…] masks in general are associated with a large reduction in risk of infection from SARS-CoV-2, SARS-CoV, and MERS-CoV but also that N95 or similar respirators might be associated with a larger degree of protection from viral infection than disposable medical masks or reusable multilayer (12–16-layer) cotton masks.

Siehe auch die Pressemitteilung und eine Zusammenfassung von NTV.

Bemerkung (13.8.2020): Dies ist auch deswegen bedeutsam, weil es offenbar nur eine einzige randomisierte Studie zum Thema Behelfsmasken (Stoffmasken) gibt. Und die Ergebnisse dieser Studie deuten daraufhin, dass medizinisches Personal sich nicht auf Baumwollmasken verlassen sollte – sie werden offenbar in manchen LĂ€ndern von medizinischem Personal eingesetzt, wo Einweg-OP-Masken schlecht verfĂŒgbar sind.

Bemerkung: Die Schutzwirkung von OP-Masken (und auch von FFP2/N95/KN95-Masken) basiert auf einem Filtervlies, das den Luftstrom einerseits gut durchlĂ€sst, andererseits nur sehr feine Löcher hat. Dagegen kann man bei (gewebten oder gestrickten) Baumwoll-Behelfsmasken meist kleine Löcher sehen, wenn man sie gegen das Licht hĂ€lt. NatĂŒrlich kann man nun viele Lagen Baumwollstoff ĂŒbereinander legen, aber dann wird der Atemwiderstand grĂ¶ĂŸer, so dass die Gefahr besteht, dass viel Luft um die Maske herum geht, statt hindurch. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass im obigen Artikel  „multilayer (12–16-layer) cotton masks“ als Ersatz fĂŒr OP-Masken genannt werden.

Die Schutzwirklung von FFP2-Masken basiert wesentlich auf ihrer Passform: Es geht nur wenig Luft um die Maske herum, genauer gesagt, darf die Gesamtleckage (Undichtigkeit) nur 8% betragen. Dazu muss die Maske allerdings auch gut passen.

Fazit: Wer sicher gehen will, weil er oder sie sich zu einer Risikogruppe zĂ€hlt, sollte weiterhin auf FFP2- oder KN95-Masken zurĂŒckgreifen. Masken nach dem amerikanischen N95-Standard sind in Deutschland aktuell kaum zu bekommen.

Die Studie gibt nun aber erstmals wissenschaftliche Hinweise, dass man sich auch durch eine OP-Maske schĂŒtzen kann – auch wenn die Schutzwirkung geringer ist.

Vielleicht hat also auch eine Baumwoll-Behelfsmaske eine Schutzwirkung. Sicher ist: Eine Brille, zusÀtzlich zur Maske, hilft zusÀtzlich.

02. August 2020 – Oliver Rheinbach

Was meint das Robert-Koch-Institut mit dem 7-Tage-R?

Seit dem 16.7.2020 ist das (gegenĂŒber dem Standard-R etwas geglĂ€ttete) 7-Tage-R (siehe auch hier) fĂŒr Deutschland oberhalb von 1, hier die Werte:

16.7.20 17.7.20 18.7.20 19.7.20 20.7.20 21.7.20 22.7.20 23.7.20 24.7.20 25.7.20
1,07 1,20 1,34 1,22 1,13 1,08 1,01 1.05 1,16 1,25
26.7.20 27.7.20 28.7.20 29.7.20 30.7.20 31.7.20 1.8.20
1,16 1,10 1,12 1,13 1,17 1,19 1,20

Entsprechend steigen die tÀglich gemeldeten Infektionszahlen (aktuell wieder bei ca. 1000 am Tag).

Aber was meint das Robert-Koch-Institut mit dem 7-Tage-R? Und wie unterscheidet es sich vom vorher verwendeten R-Wert, den das RKI tagesaktuell gemeldet hat?

Hier erklĂ€rt das RKI, wie es seine R-Werte berechnet (leider wird das selten in den Medien erklĂ€rt): Der zu Beginn vom RKI ausgewiesene „Standard-R-Wert“ ist

Rt,4=(Et-3+Et-2+Et-1+Et)/(Et-7+Et-6+Et-5+Et-4)

Es werden also einfach die Infektionszahlen von 4-Tage-Intervallen in Relation gebracht.

Das spĂ€ter eingefĂŒhrte, etwas glattere, 7-Tage-R verwendet immer Summen der Infektionsdaten von 7 Tagen,

Rt,7=(Et-6+Et-5+Et-4+Et-3+Et-2+Et-1+Et)/(Et-8+Et-7+Et-9+Et-8+Et-7+Et-6+Et-5+Et-4) .

Dabei werden die Summen von heute und von vor 4 Tagen in Relation gebracht.

Oder: Ist E7,t=Et-6+Et-5+Et-4+Et-3+Et-2+Et-1+Et die Summe der Infektionszahlen aus 7 Tagen, dann ist

Rt,7=E7,t/E7,t-4 .

Mit diesen einfachen Formeln kann man nun fĂŒr vergangene Infektionsdaten das R ausrechnen. FĂŒr die aktuellen Zahlen, die auch die Medien tagesaktuell melden, verwendet das RKI allerdings Extrapolation, um Meldeverzug zu korrigieren (Stichwort Nowcast). Relativ sicher sind die Meldezahlen erst nach etwa einer Woche, weil die GesundheitsĂ€mter Infektionen oft erst nach Tagen an das RKI melden.

Der 7-Tage-R-Wert ist etwas glatter als das Standard-R, was Vorteile vor allem bei niedrigen Fallzahlen (wenige Hundert und weniger) hat, wo Rauschen in den Daten sichtbar wird. FĂŒr beide R-Werte gilt: Sind sie lĂ€ngere Zeit oberhalb von 1, liegt exponentielles Wachstums vor. Bei einem R deutlich ĂŒber 1 gerĂ€t die Lage dann in kurzer Zeit außer Kontrolle.

Bemerkung: Von verschiedenen Medien wird heute gemeldet, dass die Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Ute Teichert Meinung ist: „FĂŒr eine zweite Pandemie-Welle sind die GesundheitsĂ€mter viel zu knapp besetzt“; die IT-Infrastruktur des Meldewesens scheint dazu immer noch unzureichend zu sein.

Umso wichtiger ist die Corona-Warn-App zur Kontaktverfolgung (und die freiwillige QuarantĂ€ne bei einer ĂŒbermittelten Corona-Warnung). Da sie quelloffen ist, kann jeder ĂŒberprĂŒfen, was sie tut. Hier sieht man etwa, wie die App Kontakte nach der LĂ€nge in Risikostufen einordnet (0 bis 5 Minuten, 5 bis 10 Minuten, 10 bis 15 Minuten, 15 bis 20 Minuten, 20 bis 25 Minuten, 25 bis 30 Minuten und mehr als 30 Minuten; bei lĂ€ngeren Kontakten wird nicht mehr unterschieden).

 

18. Juli 2020 – Oliver Rheinbach

Begriff der „zweiten Welle“

Wir haben schon besprochen, dass die Reduktion von R auf der Kombination von vielen Maßnahmen beruht (Abstandhalten, Mundschutz – auch ĂŒber der Nase (!), Reduktion der Anzahl von Kontakten, LĂŒften, schnelle klassische Nachverfolgung durch die GesundheitsĂ€mter, freiwillige QuarantĂ€ne nach Warnung durch die Corona-App, Verbot oder Vermeidung von Großveranstaltungen, etc.). Gleichzeitig rĂŒcken in den Medien LangzeitschĂ€den (auch bei jungen, ansonsten gesunden Menschen) einer Covid-19-Erkrankung in den Fokus, die eine Durchseuchungstrategie nicht ratsam erscheinen lassen. Darunter sind NierenschĂ€den, die lange unentdeckt bleiben können (Referenz wird nachgereicht).

Hier einige Berichte auf Scinexx, die Links zu Originalveröffentlichungen enthalten:

In diesem Zusammenhang wird in den Medien auch der Begriff der „zweiten Welle“ (im Sinne einer Warnung) verwendet. Der Begriff hat seine Schwierigkeiten, die schon damit beginnen, dass unklar ist, wie er definiert werden soll. Auch provoziert er Nachfragen wie: „Wieviele Wellen kann es denn geben?“.

Allerdings zeigen die aktuellen Infektionsdaten aus Israel tatsĂ€chlich eine deutliche „zweite Welle“ (Abbildung vom Corona-Dashbord der Johns-Hopkins-UniversitĂ€t):

Den Medienberichten nach scheint diese „zweite Welle“ ein Ergebnis von Lockerungsmaßnahmen und zurĂŒckgehender Disziplin in der Bevölkerung zu sein.

Das sichtbare Rauschen in den Daten ist dabei eine stetige Erinnerung, dass die Daten fehlerbehaftet sind.